Über „Faust“-Kämpfe und andere Spektakel in Preetz
Bericht vom 14. Preetzer Papiertheatertreffen
von Willers Amtrup –
aus: PapierTheater Nr. 20
Nun ist es also vorÜber, das 14. Preetzer Papiertheater-Treffen -, und eigentlich könnte ich aufs Neue meine Klage vom vergangenen Jahr über die Strapazen der Auswahl anstimmen und über die vielen schönen Stücke, die ich nicht habe sehen können. Aber ich will mich nicht wiederholen – beginnen wir deshalb ohne weitere Vorrede mit der Rückschau auf einige Höhepunkte des diesjährigen Festivals.
Das Wochenende begann traurig: Wegen der tragischen Ereignisse in den USA waren alle für Freitagabend angesetzten offiziellen Vorstellungen abgesagt worden, und auch die mit Spannung erwartete Gruppe The Vest Pocket Playhouse aus New York hatte ihr Erscheinen zwangsläufig absagen müssen. Vom nächsten Vormittag an aber hetzte man von einer Vorstellung zur anderen, fand zwischendurch dennoch immer wieder Zeit zu netten – nicht nur fachsimpelnden – Gesprächen mit Freunden und Bekannten und konnte es auch nicht lassen, am Verkaufstisch nach fehlenden Theaterbögen zu suchen und bei der abendlichen Auktion mitzubieten.
Auf den MiniaturbÜhnen spielte sich in diesem Jahre eine Art „Faust"- Kampf ab: Robert Poulter begann ihn mit seiner Faust Fantasy, dem aus 4 Szenen bestehenden Teilstück eines als Ganzes noch nicht vollendeten Stückes über den englischen Schauspieler Sir Henry Irving der gegen Ende des 19. Jh. eine nationale Berühmtheit war und u.a. den Mephistopheles in Goethes FAUST spielte. Poulters Szenen zeige die Vorbereitung dieser Aufführung und einige markante Szenen das aus, z. B. die im Studierzimmer, in der Hexenküche, auf der Straße ir Kampf mit Valentin, im Kerker und auf dem Brocken. Schon diese kurze, nur 16 Minuten dauernde Ausschnitt aus dem auf 90 Minuten angelegten Stück war hinreißend! Wüsste man nicht inzwischen, dass Poulter auch ohne Mephistos Hilfe zaubern kann, so müsste man dessen Mitwirkung bei dieser furiosen Aufeinanderfolge von faszinierenden Szenen, überraschenden Lichteffekten und klug gemischter Musikuntermalung vermuten. Ein echtes Highlight, das auch vor Poulters Spieler-Kollegen immer wieder lobend erwähnt wurde!
Beim zweiten FAUST, als eine Art kleiner Oper dargeboten von Harry Oudekerks Vischmarkt Papieren Theater, schieden sich dagegen die Geister: Hier hatte der Computer gezaubert, und während ein Teil der Zuschauer enthusiastisch lobte, was man inzwischen mit diesen Medium alles anstellen könne, schätze ich (mit einem anderen Teil des Publikums) die rein „menschlichen" Werke denn doch entschieden höher ein. Dabei konnten mir die per Computer verfremdeten Dekorationen und Figurinen – unter ihnen interessante Übernahmen von Hieronymus Bosch – ebenso wie viele gelungene Lichteffekte mehrfach durchaus gefallen.
Den vom Computer erzeugten „Soundtrack" dagegen haben meine an „normale" Musik gewöhnten Ohren nur mühsam verkraften können, zumal die Wortverständlichkeit des englischen Textes so schlecht war, dass den Zuschauern eine 4 (!) Seiten lange Inhaltsangabe in die Hand gegeben werden musste, die aber während der Vorstellung im Dunklen auch nicht viel weiter half.
Auch Fausts erotischer Kampf mit Gretchen, gespielt vom Phoenix Papieren Theater aus Utrecht, fand nicht bei allen Zuschauern Beifall. Ab Vissers legte seinem nur für „tolerante" Erwachsene bestimmten Stück eine über 100 Jahre alte und leider etwas grobschlächtige Persiflage auf Goethes Drama zugrunde – es gibt in diesem Zusammenhang aber wohl nur diese eine – und spielte dann mit teilweise selbst entworfenen Figurinen Fausts Eroberung des zunächst widerstrebenden Gretchen genüsslich aus; das war streckenweise so gut gemacht, dass es mit einem etwas besseren Text für alle nicht gerade prüden Zuschauer ein ungetrübter Genuss hätte sein können.
Besonders raffiniert fand ich, dass Ab Vissers die durch einen Paravent züchtig verdeckte „direkte“ Aktion dadurch illustrierte, dass er im Bühnenhintergrund ein Guckloch öffnete, in dem man sozusagen stellvertretend „klassische“ Erotik sah, nämlich Ausschnitte aus „L’Origine du Monde“ von Gustave Courbet (1866) und aus den um 1820 entstandenen erotischen Aquarellen des Wiener Biedermeier-Malers Peter Fendi, genannt „Der Schubert der Malerei“.
Einhellig stürmisch bejubelt wurden dagegen andere Liebesromanzen. Beginnen wir höflicherweise mit den ausländischen Gästen und bei ihnen mit einem weiteren Höhepunkt des diesjährigen Festivals, nämlich mit The Beauty and the Beast von Joe Gladwin’s Paperplays. Wie schon in den vergangenen Jahren brachte Joe Gladwin mit selbstentworfenen Dekorationen und Figurinen wunderbar farbschöne, stimmungsvolle Bilder in einerabsolut stimmigen Ausleuchtung auf die kleine Bühne, zeigte flott gespielte ernste und heitere Szenen – z. B. eine Kahnpartie der beiden Protagonisten oder die entzückende Episode auf der Schaukel – und begleitete das Ganze mit überaus differenziert live gesprochenen Dialogen. ätte immer weiter zuschauen und zuhören mögen!
Ebenfalls live gestaltete Peter Baldwin von Peter Baldwin’s Toy Theatre die Liebesgeschichte zwischen einem Londoner Fährmann und seiner Angebeteten Wilhelmina in The Waterman. Dem engagierten (gelernten) Schauspieler bei der Charakterisierung der verschiedenen Personen zuzusehen und zuzuhören, ist einfach ein Genuss, und er steigerte seinen Einsatz sogar noch dadurch, dass er dabei mehrere kleine Couplets zum Besten gab (und dabei halb entschuldigend anmerkte, Wilhelmina habe leider eine etwas maskuline Stimmlage).
Obwohl das Stück weitgehend in hergebrachten Dekorationen gespielt wurde, fand Baldwin immer wieder Gelegenheit zu kleinen erheiternden Einschüben – z. B. dem durch ein Fenster zu beobachtenden Wettrennen auf der Themse – und bekam starken, verdienten BeifalI. Im Spielen ohne Tonkonserve sind die Engländer einfach unerreicht.
Eine letzte sehr gelungene, diesmal schwedische Produktion will ich anführen: Aladin und die Wunderlampe von Gripes Modellteatermuseum aus Nyköping. Zwei junge Damen – die eine vor, die andere hinter der Bühne – gestalteten das bekannte orientalische Zaubermärchen so lebendig und unterhaltsam, dass man auch ihnen immer weiter hätte zusehen können. Auch sie sprachen live – und wenn ich eben das Spiel der Engländer hervorhob, so standen sie dem allenfalls geringfügig nach.
Besonders schön gelungen waren auch Überleitungen vor der Bühne während des Szenenumbaus; kleine musikalische Einlagen und wirkungsvoll gesprochene verbinden Texte hielten das Spiel ohne spürbare Unterbrechungen in Fluss – das war gekonnt. Zudem zeigte die Aufführung einmal mehr, wie großartig Alfred Jacobsens transparente Dekorationen auf dem Papiertheater wirken: Die von hinten angestrahlten Erscheinungen des Lampengeistes sind überaus eindrucksvoll.
Unter den von deutschen Spielern gestalteten Stücken gab es für mich zwei weitere Höhepunkte des Festivals. Beginnen wir mit den Bildern einer Ausstellung und der Liebe zu den drei Orangen vom (umbenannten) Papiertheater Severinchen. Wilhelm Severin hatte für diese Vorstellung ein sehr schlichtes, aber formschönes und äußerst funktionales neues Theater entworfen und gebaut und dazu Dekorationen (die Figurinen gestaltete Inge Severin) geschaffen, mit denen er einige Teile aus Mussorgskys Komposition u.a. Das alte Schloss, Die Katakomben und Das große Tor von Kiew eindrucksvoll und in wunderbaren Farben illustrierte.
Hier war die Arbeit mit dem Computer vollkommen gelungen, und ich wünschte mir, Wilhelm Severin würde auch die übrigen „Bilder" noch folgen lassen. Inge Severin entwarf sehr vielfältige, schöne Dekorationen und Figurinen zu Prokofieffs heiterer Oper und fing durchweg den Witz der Handlung – besonders schön die Verwandlung der drei Orangen in Prinzessinnen, das Fest mit Akrobaten und der aus Perlenschnüren bestehende Regen – und der Komposil in gelungener Weise ein. Beide Stücke wirkten- zudem durch ein ruhiges, unaufgeregtes Spiel der Figuren.
Ein weiteres Bravo schließlich für Orpheus und Eurydike, gespielt von Römers Privattheater. Hier wurden Handlung und Kompositionen der Oper von Gluck und Operette Orpheus in der Unterwelt von Offenbach munter durcheinander gewürfelt, und wie schon beim Odysseus kann man Horst Römer für seine witzigen Dialoge und Erfindung der Handlung nur uneingeschränkt Komplimente machen.
Alle Dekorationen und Figurinen – letztere teilweise angelehnt an Figuren aus „Asterix und Obelix“ – sind selbst entworfen und gezeichnet, Dialoge werden (wenn auch auf Tonträger) von der ganzen Familie selbst gesprochen.
Für mich ist die Familienproduktion (ähnlich wie bei den Severins und Carl-Hellriegel-Nachfahren, die ich diesmal leider nicht sehen konnte) ein lebendiger Beweis dafür, dass man auch ohne einen Riesenaufwand überaus kreative Dinge schaffen und dabei das traditionelle Papiertheater weiterentwickeln kann.
Lassen Sie mich schliessen mit der Abwandlung eines alten Grußes: Nächstes Jahr in Preetz!