Blick zurück mit Lust
Uwe Warrach zum 20. Preetzer Papiertheatertreffen
Da jammern die Großen Häuser, es gäbe keine Theaterstücke und Autoren mehr, von Shakespeare käme auch nichts neues, und sie müssten nun Romane zu Dramen umpfriemeln; originelle Einfälle wie Stuhlgänge und Begattungen auf der Bühne würden nicht mehr mit der angemessenen Begeisterung aufgenommen, und dann kürze man ihnen auch noch die Subventionen. Da kann ich nur rufen: Theatermacher, kommst du nach Preetz, findest du: neue Stücke, Riesen-Vielfalt, Scherz, Ironie und tiefere Bedeutungen, und wenn wirklich mal Ferkeleien, dann nette. Und du wirst sehen, dass das Gehirn auch arbeiten kann, bevor man Geld hinein steckt. Dies vorausgeschickt, meine Preetzer Eindrücke 2007:
RÖmers Privattheater: Das gefÄhrliche Leben des Carlo Goldoni
Wie immer bei den Römers, eine höchst dreidimensionale Bühne mit selbst gestalteten Kulissen und Figuren, hier nach italienischen Genremalereien des 18. Jahrhunderts und Karikaturen Honoré Daumiers. Da schaut man aus den hinteren Theaterreihen des Theaters auf dem Theater zur Bühne auf der Bühne, erschrickt, wie vor einem in der Reihe eine Figurine aufspringt und den Dramatiker beschimpft. Wir blicken hinter die Kulissen, wo um weibliche Hauptrollen gefeilscht wird. Die begrenzten Mittel des Papiertheaters sind bis zum Letzten mobilisiert: Über die Kanalbrücken und durch die Gassen Venedigs tigern zwei Männer, Goldoni und ein gedungener Killer nämlich, die durch ihre wechselnde Nähe der Szenerie die rechte Tiefe geben. Sehr witzig ihr Aufstieg in einem Turm, in dessen Fenstern wir ihren Schatten folgen. Die Figurinen sind ihren Charakteren und Auftritten gemäß gestaltet: lässig hängt der Intrigant schwadronierend in seinem Caféhausstuhl. Casanova, soeben den Bleikammern entstiegen, genießt mit Goldoni den Blick auf die nächtliche Stadt. Die flotte, witzige Handlung hätte für mich noch eine pfeffrigere Schlusspointe gut vertragen, zumal die Länge von 40 Minuten für den Spannungsbogen genau richtig bemessen war.
Paperplays Puppet Theatre: The Flying Dutchman
Bei John Gladwin muss man sich immer entscheiden, ob man sich von dem Mann „behind the scenes“, hinreißen lassen will oder von seinen farbigen, schillernden Kulissen und Figuren. Er spricht und singt, erzeugt Geräusche selbst und irgendwie alles zur gleichen Zeit, begleitet durch eigens komponierte Musik von Helen Porter und deren technische Assistenz mit elektronischem und alt her gebrachtem Klangspektakel aus Gerätschaften wie sandgefüllten Papprollen, während sich auf Phantomschiffen Geister und Helden tummeln, die gnadenlose Orkanwellen aushalten müssen, wozu dann doch ein bisschen Richard Wagner mitdröhnt- very much action, totales Papiertheater.
Svalegangens Dukketeater: Claus-Bo & Hannah & …
Für Dänen ist der Titel anscheinend ein Begriff, weil einer Comic-Serie entnommen, unsereiner erlebt Dänemark, wie er es aus dem Urlaub kennt: als Heimat der Sommerhäuser. In so eins zieht eine nette Familie ein, Vater Claus-Bo findet es hyggelig, und die Kinder wollen gleich nachsehen, ob das Meer da ist. Leichter Sommerabend-Jazz schwingt mit, aber schon bald kriegt die Idylle Schlagseite: Mama Hannah geht fremd. Nicht nur das. Lustschreie i feriehuset! Und dann wird es ziemlich bös: Hannah kann ihren Geliebten, Claus-Bo seine Frau nicht los lassen, er macht eine Therapie („Claus-Bo, erzähl mal der Gruppe…“), findet zu sich und will die Scheidung.
Im Publikum saßen auch ein paar Kinder. Was dachten sie? Nicht nur über die Laute aus der Schlafkoje, sondern über Erwachsene als Vorbilder? Was soll aus solch einer Gesellschaft werden? Das Stück entlässt uns genau mit dieser Frage.
Robert Poulter’s New Model Theater starring Peter Baldwin: OH! - smith
Robert Poulter bringt einen im 19. Jahrhundert sehr populären englischen Bösewichtdarsteller namens O. Smith mit einer Auswahl seiner beliebtesten Horrorstücke. Dass Mr. Smith bei uns nicht so prominent ist, macht nichts, denn er erscheint höchstpersönlich am Pult neben der Bühne und berichtet zu den Szenen und aus seinem Leben. Dieser Mr. Smith hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Papiertheaterspieler Peter Baldwin aus London. Er plaudert und palavert, wird aber gleichwohl von Mr. Poulter so ehrerbietig behandelt, wie es einem großen Star zukommt. Das Zusammenspiel ist perfekt- aber was würde man anderes von den beiden Großmeistern erwarten?
Don Giovanni, KÄthchen & Co.: Die Liebe zu den drei Orangen
Erst einmal fällt die mächtige, prächtige Alhambra-Bühne nicht nur ins Auge, sondern sozusagen in die Tür, sie beherrscht das schmucklose Klassenzimmer. Peter Schauerte-Lüke und Sabine Herder treten ein, streitend über Kunst, Moral und Unterhaltung auf dem Theater, löschen das Licht im Saal und beleuchten sich und die Bühne. Auch hier muss man sich, ähnlich wie bei John Gladwin entscheiden, wo man hinguckt- zu den menschlichen oder den papierenen Figuren. Sie mischen, von je einer Seite, kräftig mit bei der orientalisch-chinesisch inspirierten Zaubergeschichte, aus der die immer wieder debattierenden Protagonisten ihre gesellschaftspolitischen Argumente schlagen, bis sie am Ende den Raum wieder verlassen, immer noch uneins über ihre Theater-Theorien.
Papiertheater Pollidor: Nie wieder Coco Island
Mein Favorit von den sechs Aufführungen, die ich gesehen habe. Hochaktuell: es geht um viel Schwarzgeld, beiderseitige Untreue in der Ehe, einen miesen Chef, einen selbstbewussten Lehrling, eine beherzte Putzfrau, eine Briefkasteninsel im Pazifik und einen als Deus ex machina auftretenden Müllmann. Alle Rollen von Dirk und Barbara Reimers mit individuellen Stimmen live gesprochen. Die von Barbara Reimers gemalten Kulissen und Figuren zeichnen Stimmungen und Charaktere wiedererkennbar. Die Szenerie von Kampen ist so gelungen, dass man sich wundert, wieso die kleine Fahne auf der Promenade nicht im Wind flattert. Oder kam da doch eine leichte Brise von der Bühne?
Mein Fazit: So lange wir solche Aufführungen geboten bekommen, ist mir um die Zukunft des Papiertheaters gar nicht bange!