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Preetzer Jubiläums-Fest-Menü

verkostet von Iris Förster, Olaf Christensen, Jens Schröder, Uwe Warrach, Horst Römer und Norbert Neumann /
aus: Das PapierTheater Nr. 29

 

microScope Toy Theater – Yulya Dukhovny, USA
A Real Elephant

Wie gross ist denn nun ein echter Elefant? Das versuchten Yauya Dukhovny vom microScope Toy Theater vor der Aufführung mit Hilfe einer langen Schnur und zweier Freiwilliger darzustellen. So groß? Und wie soll der auf die kleine Bühne passen?

Wir werden sehen: Die kleine Nadia ist schon seit Wochen krank. Gelangweilt, nicht wirklich krank. Zur Unterhaltung zeigt ihr die Mutter ein Buch, und Nadia entdeckt einen Elefanten. Und von da an hat sie einen Traum: Sie möchte einen echten Elefanten haben. Der Vater versucht alles möglich zu machen, behilft sich zunächst mit einem Aufziehtier in einer Spieldose, sieht dann aber ein, dass es wirklich ein echter Elefant sein muss.

Auf einer mehrstöckigen Bühne verfolgen die Zuschauer die Geschichte; der Traum, die Realität, die Verwandlung, alles spielt sich auf unterschiedlichen Ebenen ab. Häuser werden zu Spieldosen, denn die Kulisse ist zum Teil dreidimensional aufgebaut. Das abnehmbare Dach erlaubt überraschende Einblicke und ein feuerspeiender Drache verzückt Groß und Klein.

Die anrührende Geschichte nach einem Bilderbuch des russischen Autors Alexander Kuprin taucht tief ein in die Traumwelt und verzaubert mit hinreißenden Figuren und dem Spiel mit den Dimensionen, mit Licht und Dunkelheit und einem sorgsam zusammengestellten Soundtrack.

Iris Förster

 

Robert Pouter’s New Model Theatre – Robert Poulter, Grossbritannien
The Whaler’s Wife

Mit einem freundlichen LÄcheln begrüßt Robert Poulter das einströmende Publikum und gibt eine kurze Einleitung in das Stück.

Das Licht verlischt und in Robert’s  New Model Theatre entspinnt sich die Geschichte einer ungewöhnlichen Kapitäns-Frau, die ihren Mann im des 19. Jahrhunderts auf einer Walfangreise begleitet, nachdem sie nicht mehr ständig auf ihn warten möchte. Dabei muss sie dann mit dem rauen Seeklima, zu dem auch die wenig begeistere Mannschaft gehört, klar und zum Höhepunkt der Geschichte sogar niederkommen.

Robert Poulter zieht bei seinem Stück wieder alle Register des im Papiertheater Möglichen. Abgesehen von den selbst gezeichneten Figuren, deren Charaktere mit expressionistischem Pinselstrich höchst treffend gezeichnet sind, versteht es Poulter geradezu meisterhaft, mit Figurengrößen und Perspektiven zu spielen. Seine Figuren, Kulissen und Versatzstücke verändern ihre Größen und unterstützen so die Tiefenwirkung des Stücks.

Zudem entwickeln sich aus diesen unterschiedlichen Größenverhältnissen kaum merkliche Szenenübergänge mit Kulissenwechsel, und das Stück wird durch sie nicht unterbrochen. Der Gute Ton kommt von einer CD, auf der Robert seine Darsteller mit verschiedenen Stimmlagen und Dialekten unterlegt. Manchmal war es dann auch schwierig, den Wortwitz zu erfassen, was aber der flüssigen und in sich schlüssigen Handlung keinesfalls Abbruch tat.

Robert’s Bühne – mit die kleinste auf dem Preetzer Treffen – kommt ohne großen technischen Aufwand aus, was aber nicht heißt, dass das New Model Theatre seine Zuschauer nicht auch mit Spezialeffekten wie dem sturmschwankenden Schiff nebst Geburt, der effektvoll ausgeleuchteten Hölle der Trankocherei oder dem zum Schluss durch das Kajütenfenster blickenden Moby Dick verwöhnt.

Im Ergebnis wieder einmal 50 Minuten Papiertheaterunterhaltung vom Feinsten.

Olaf Christensen

 

Paperplays Theatre – Joe Gladwin, Grossbritannnien
The Haunted House or Deja Vu

Beim 11. Papiertheatertreffen im Jahr 1988 gab es das erste Gastspiel von Joe Gladwin – seitdem zieht sich das Lob seiner Virtuosität beim Agieren hinter, vor und neben seinem Theater wie ein roter Faden durch die für die Nachwelt dokumentierte Preetz-Berichterstattung; diesen Faden möchte ich auch in diesem Bericht nicht abreißen lassen.

Der rote Faden war in Gladwins Stück „Haunted House“ eher eine rote Blutspur des Grauens, deren Ursprung in unheimlichen Ereignissen im Jahr 1880 gelegt worden war: Die Tochter eines Südstaaten-Plantagebesitzers – nein, sie hieß nicht Scarlett – machte sich mit Begleitung auf die Reise nach England ins Castle D’Ark. Diese Reise endet für einige Beteiligte im wahrsten Sinne des Wortes kopflos.

Zeitsprung: Fernsehstar Mrs. Jones erwirbt den Ort des Grauens von einem zwielichtigen Makler und muss feststellen, dass sich die seinerzeit Enthaupteten noch nicht vollständig aus dem Gemäuer entfernt haben. Das eben diese Mrs. Jones die Enkelin einer Sklavin auf der eingangs erwähnten Plantage ist, verkompliziert die Handlung nur unwesentlich …

Besonders gefallen hat mir bei den von Joe Gladwin selbst gezeichneten Kulissen und Figuren der Kontrast zwischen den im wesentlichen schwarz-weiß gestalteten Hintergründen und den fast grell farbig gestalteten Figuren.

Die Gladwin-typische variantenreiche Sprachgestaltung wurde unterlegt von einem Endlosband mit einem Best-of der typischsten Horrorfilm-Geräusche. Ein gruselig-gutes Vergnügen!

Jens Schröder

 

Sarah’s Paper Theatre – Sarah Peasgood, Grossbritannnien
Little Nemo in Slumberland

Der kleine Nemo erlebt in sieben Träumen seine Abenteuer im Schlummerland. Die Geschichte beruht auf den Comics von Winsor McCay, die von 1905 bis 1907 im New York Herald erschienen sind.

Die offen bespielte Bühne gibt aus unterschiedlichen Winkeln den Blick auf Nemos Bett frei, bevor er in seinen Träumen dem König Morpheus und der Prinzessin begegnet. Sicherlich ist es äußerst schwierig, aus einem in Wort und Bild sehr reduzierten Comicstreifen eine kurze Theaterszene zu entwickeln. Die Dialoge im Comic sind so aufgebaut, dass es keiner weiteren Worte bedarf, die Bilder so klar, dass die Geschichte auf Anhieb verstanden werden kann.

Dennoch versucht Sarah Peasgood das Experiment. Herausgekommen ist ein Papiertheaterstück, das, von langen Umbauten bestimmt, kurze Einblicke in die verschiedensten Traumszenen gibt und dessen Dialoge das Stück weder voranbringen noch den Zuschauer wirklich unterhalten.

Wäre dies das einzige Stück gewesen, das ich gesehen hätte, wäre ich sicherlich enttäuscht gewesen. Im Rahmen eines Papiertheatertreffens, bei dem man die Möglichkeit hat, viele Stücke in Folge anzuschauen, hat es jedoch durchaus einen Platz verdient, denn es spielt mit den reduzierten Möglichkeiten dieser uns so lieben Theaterform. Warum immer nur umfangreiche Stoffe reduzieren? Genauso reizvoll kann es sein, das Gegenteil zu versuchen.

Iris Förster

 

Wie auch schon bei Ihrem Preetz-Debut mit „Krazy Cat“ war auch dieses Mal ein Comic der Ideengeber für Sarah Peasgood: „Little Nemo (der kleine Niemand) im Schlummerland“, eine surreale Traumphantasie von Winsor McCay, die in Amerika in den Jahren von 1905–1911 als Zeitungsserie erschienen ist.

Der kleine Nemo begibt sich in seinen leider immer wieder zu den unpassendsten Momenten unterbrochenen Träumen auf die Reise in das Land von König Morpheus, um dort dessen Tochter, die Prinzessin, zu treffen.

Auch ohne die Vorlage zu kennen, kann man sagen, dass die Umsetzung der 2D-Vorlagen in 3D-Papiertheater-Traumwelten sehr gut gelungen ist. Die flachen Vorlagen wurden gekonnt in farbenfrohe und gut gestaffelte Bilder mit wunderschönen Durchsichten aufgelöst.

Für die Umbauten zwischen den einzelnen Traumbildern wurde die Bühne nicht geschlossen, sondern man befand sich in dem aus Seitenkulissen bestehenden Schlafzimmer von Nemo, das im freien Mittelteil Einblicke in die Umbauten und Interesse weckende Teilansichten des nächsten Bildes erlaubte – eine gelungene Lösung.

Für Sarah Peasgood, die ohne elterliche Unterstützung als one-women-show agierte, wurden die zahlreichen Umbauten zur Schwerstarbeit – die sehr gut ausgewählte, aus elektronischen Sphärenklängen bestehende und fast meditative Umbau-Musik suggerierte dem Publikum das Gegenteil.

Danke, dass sie diesen Traum mit mir teilen – so endet Sarah Peasgood auf Ihrem erläuternden Programmzettel. Diesen Dank möchte ich ausdrücklich der Akteurin zurückgeben: Danke, dass wir mitträumen durften!

Jens Schröder

 

Compagnie Volpinex – Fred Ladoue, Marielle Gautheron, Frankreich
L’etrange Cas – Der seltsame Fall

Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Da wird das Publikum vor dem Stück in zwei Gruppen aufgeteilt, die einen sitzen diesseits, die anderen jenseits einer großen Pappwand und erleben gleichzeitig zwei völlig unterschiedliche Aufführungen.

Man ahnt ja, dass das alles irgendwie zusammenhängt, aber erst in der zweiten Hälfte des Stückes, sozusagen nach dem Seitenwechsel, erschließt sich die Idee. Auf der einen Seite wird die Geschichte der Verlobten von Dr. Jekyll gezeigt, die in der Psychiatrie gelandet ist und sich in Tagträumen verliert, auf der anderen Seite experimentiert ihr behandelnder Arzt mit Flüssigkeiten, Geräten und Texttafeln und erzeugt dabei Ton und Bild für alles, was sich hinter der Mauer abspielt.

Das umgeklappte Regal wird zur Miniaturbühne, eingeblendete Texte erläutern die Handlung. Da stellt sich die Frage: Was tut der Arzt und was empfindet der Patient dabei?

Schon im letzten Jahr hat die Compagnie Volpinex das Papiertheater mit seinen technischen Möglichkeiten großzügig ausgereizt, dieses Jahr gehen sie noch weiter.

Zu weit?

Iris Förster

 

Die Diskussionen darÜber, ob die eine oder andere Aufführung „noch Papiertheater“ sei, begleiten die Preetz Festtage seit Jahren. Ich finde sie müßig, so lange ich noch Spuren des Mediums erkenne, auch wenn Experimente sich weit von der klassischen Bühne des 19. Jahrhunderts entfernen. In diesem Fall jedoch scheint mir, dass ein Auditorium gesucht wurde, vielleicht in Ermangelung eines anderen, und im Vertrauen auf sein besonders aufgeschlossenes Publikum das Preetzer erwählt wurde? So nehme ich es als Kompliment für uns. Dies vorausgeschickt, meine Eindrücke:

Großes Theater, jedenfalls im Vergleichsmaßstab: Der Bühnenboden misst 4 mal 5 Meter, also ein mittleres Wohnzimmer. Darauf steht eine gut mannshohe Mauer. Der Zuschauer, wenn er den Raum betritt, läuft auf die Seitenkante dieser Mauer zu, wird dann nach links oder rechts geleitet, wo die Stuhlreihen auf beiden Seiten der Mauer so aufgestellt sind, dass man auf die jeweilige ganze Seite blickt, also jede Hälfte des Publikums auf die eine oder die andere.

Jede Gruppe sieht jetzt etwas ganz Verschiedenes, hört aber dasselbe und merkt, dass das sichtbare und das unsichtbare Geschehen zusammen gehören. Nach der Halbzeit werden die Plätze getauscht, und die beiderseitigen Aufführungen wiederholt.

Keine Figurinen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut agieren hier, auf der einen Seite ein etwas nervöser Laborant aus dem 19. Jahrhundert, auf der anderen eine sichtlich verängstigte, gepeinigte Frau in einem schlicht-groben Kleid, das an eine Anstaltsinsassin denken lässt.

Es geht offenbar, wie man nach und nach einigen projizierten Zeitungsausschnitten an der Wand des Chemikers entnehmen kann, um Dr. Jekyll/Mr. Hyde und dessen Suizid gefährdete Geliebte. Das ist faszinierend, originell und professionell gestaltet und gespielt, das Doppelspiel perfekt synchronisiert, wobei mich die Dramaturgie nicht ganz überzeugte. Es dauert etwas zu lange, bis sich erschließt, was der emsige und manchmal hektische Mann in wechselnden fleckigen Weißkitteln da treibt und wozu.

Andere Zuschauer teilten meine Vermutung, dass diejenigen es leichter hatten, die auf der Seite der Frau begonnen hatten. Eine packende Aufführung gleichwohl, der starke Beifall deshalb verdient, das ganze durchaus angemessen für „richtiges Theater“ – aber das Papiertheater an sich muss schon geduldig sein …

Uwe Warrach

 

Theatre de Table – Eric Poirier, Frankreich
Anton’s Stories – Antons Geschichten

Das sind drei Geschichten von Anton Tschechow aus dem russischen Kleinbürgertum. Die Pappnasen hätten ohne den eigentlichen Star, den Spieler Eric Poirier, wenig zu melden, zumal der Mensch sie am Ende auch noch verprügelt. Er übernimmt, was die Figurinen nicht können: Mimik, Gestik. Und natürlich die Stimmen.

Die „Bühne“ ist zunächst eine Staffelei, die an Stelle einer Leinwand Kulissen und auf der Farbenschublade die Figurinen trägt. Es geht um ein unwillkommenes, frivoles Geschenk, das die Beschenkten nicht zurückweisen möchten, sondern weiter geben. Es wandert von Beschenktem zum Beschenktem – bis, man ahnt es, die erste Station wieder erreicht ist.

Ein andermal dient ein gewöhnlicher Tisch als Rampe, auf der es wieder um Peinliches geht, nämlich um abhanden kommende Bekleidung Badelustiger. Alles wird mit knappsten Utensilien dargestellt.

Poiriers Tempo und Handhabung erinnern an ein spielendes Kind, manchmal auch an die Fixigkeit eines Zauberkünstlers. Aber es ist nicht die Technik allein, die Anton’s Stories „rüberbringen“, es ist die Einfühlung in den osteuropäischen Witz, dessen Schadenfreude und gleichzeitige Liebe zum Allzumenschlichen.

Uwe Warrach

 

Camera Theatrum – Frits & Gerda de Nooijer, Ad Nierop, Niederlande
Panik! Geht die Erde oder die Sonne unter?

Wird unsere Welt im Dezember 2012 untergehen, wie es die Mayas voraussagen? Dieser Frage widmeten sich Gerda und Frits de Nooijer und Ad Nierop aus den Niederlanden.

Ein Pastor und ein Historiker sitzen im Gespräch auf ihrem Dorfplatz vor der Kirche, als plötzlich Plato und Aristoteles, die eigentlich den Dorfplatz als steinerne Denkmale zu zieren haben, von Ihren Sockeln herabsteigen und mit beiden zu einer Zeitreise aufbrechen, denn schon oft sah man in der Geschichte den Weltuntergang nahen … 

Die Umbauten zwischen den einzelnen Bildern dieser Reise wurden nicht von einem Vorhang, sondern von einer Zeitmaschine abgedeckt, die wie auch alle anderen Kulissen und Figuren vom Maler Frits de Nooijer großartig selbst gestaltet worden ist.

Ein Kritikpunkt, der sich schon in Besprechungen der vorangegangenen Preetz-Gastspiele dieser Bühne finden lässt, ist allerdings auch von mir zu wiederholen: Das Verhältnis von relativ kleinem Bühnenausschnitt zur relativ großen Bühnentiefe ist so ungünstig gewählt, dass nur Zuschauer mit zentralem Einblick in die Papiertheaterbühne in den Genuss des optimalen Bühneneindrucks kommen.

Das über dem Proszenium platzierte farbenprächtige Bild de Nooijers gibt dem Betrachter einen Eindruck davon, wie eindrucksvoll eine Bühne in dieser Größe sein könnte. Keine Angst vor großen Formaten, möchte man hier ausrufen, so wie die Botschaft dieses Stückes „Keine Angst vor dem Ende der Welt 2012“ lautet.

Fazit also: Die Welt wird sich weiter drehen und unser 26. Treffen in Preetz 2013 ist nicht gefährdet!

Jens Schröder

 

Svalegangens Dukketeater –
Per Brink Abrahamsen, SØren Mortensen, DÄnemark
Mother, tell me more – Theaterkonzert Syd Barrett

Per Brink Abrahamsen hatte in diesem Jahr ein „Theaterkonzert“ im Gepäck. Theaterkonzerte – so war es in der Vorankündigung zu lesen – sind zur Zeit in Dänemark sehr beliebt; um populäre Musikstücke wird ein Handlungsrahmen gesetzt, im Vordergrund steht die Musik. In diesem Papiertheater-Konzert war in eben diesem Vordergrund die Musik des Pink Floyd-Gitarristen Syd Barrett zu hören, interpretiert von der Band „Undertow“ um Søren Mortensen.

Kannte man Svaleganges Dukketeater bis dato als eine Papiertheaterbühne mit aufwendigen Bühnenbildern, so sah man hier neben einer Vielzahl von Figuren „nur“ eine Grunddekoration, die mit im Vergleich zu anderen Abrahamsen-Aufführungen relativ wenigen Hängeteilen und Versatzstücken variiert wurde. Gestaltet wurde das surreale Szenario von Suse Hartung. Die in gewohnter Weise perfekte Beleuchtung war ein wichtiges Gestaltungselement.

Doch noch etwas war aus meiner Sicht anders als gewohnt: Zeichnet sich sonst das Spiel von Abrahamsen durch eine sehr ruhige und unübertriebene Figurenführung aus, so hatte man in dieser Aufführung zeitweise den Eindruck, die kleinen papierenen Darsteller ließen sich von der Musik mitreißen – so sah man zum Beispiel eine beinschwingende Tänzerin im wilden Wirbel.

Jens Schröder

 

Wiener Papiertheater – Kamilla & Gert Strauss, Manfred Heller, Österreich
Die Fledermaus

FÜr mich als Papiertheaterliebhaber, der sich im „wahren Leben“ mit Bühnentechnik für „große“ Theater beschäftigt, ist der Besuch des Papiertheaters von Gert und Kamilla Strauss jedesmal ein ganz besonderes Vergnügen. Die von den beiden mit technischer Unterstützung von Manfred Heller bespielte Bühne würde sich hervorragend zur Ausbildung unseres Bühnentechniker-Nachwuchses eignen, ein solch perfektes Abbild der Realität ist sie. Gespannt warte ich auf den ersten Einsatz einer Drehbühne in diesem technischen Wunderwerk …

Doch nicht nur das Theater, auch die in diesem Jahr – noch ohne Drehbühne – zur Aufführung gebrachte „Fledermaus“ war ein Genuss! Die Strauss’sche Ouvertüre wurde dadurch bebildert, dass der von Eisenstein nach einer durchzechten Faschings-Nacht im Fledermauskostüm „ausgesetzte“ Dr. Falke vor einem mit der Wiener Skyline geschmückten Wandelpanorama – die Vorlage hierfür fand Gert Strauss auf der Mauer eines Wiener Kindergartens – unter dem Gespött der ihn verfolgenden Kinder nach Hause flieht. Seine Rache am lieben Freund Eisenstein wird uns die nächste Stunde bestens unterhalten!

Nicht nur die auf Grund der bereits erwähnten Bühnentechnik möglichen und immer wieder Staunen hervorrufenden blitzschnellen Verwandlungen tragen zu einem gelungenen Operettenabend bei – es sind auch die wunderschönen, teils nach Bühnenbildentwürfen des Burgtheaters gestalteten prächtigen Szenenbilder, es ist die perfekte Beleuchtung, es sind die Details wie die als Haustier im Hause Eisenstein gehaltene Fledermaus im Vogelkäfig, es sind die sich in Walzerseeligkeit drehenden Tanzpaare beim Ball des Prinzen Orlofsky und im großen Finale – dies alles addiert sich zu einem wunderbaren Papiertheatererlebnis!

In der „Fledermaus“ ist zwar glücklich der, der vergisst – diese Aufführung wird man aber sicher länger im Gedächtnis behalten!

Jens Schröder

 

Wenn es in Preetz einen „Dirk“ für technische Perfektion geben würde oder eine „Barabara“ für die traditionellste Bühne, dann müsste er/sie wohl an das Wiener Papiertheater gehen. Der am Computer mitwirkende Modellbauer hat die Barockbühne nach seltenen Vorlagen gebaut und ausgestattet, Kulissen und Figurinen nach herausragenden Wiener Aufführungen gestaltet und das alles so „bühnentief“ und lebendig, dass die Figurinen wirklichen Darstellern sehr nahe kommen.

Immer wieder verblüffend der völlige Umbau in Sekundenschnelle. Das rasante Tempo erlaubt keinen Szenenbeifall, der sich öfter rührt, denn man muss fertig werden, weil man mit 60 Minuten sowieso schon eine Überlänge produziert hat. Aber in diesem Fall ist die gut auszuhalten; die Klage des Prinzipals über die Askese des Weglassens darf man indessen getrost seiner Liebe zum Gesamtwerk zurechnen.

Der Reiz dieser Aufführung liegt in dem gelungenen Abbild dessen, was zu Johann Straussens Zeit begeisterte, in einer Epoche, die der Wiener Stefan Zweig wehmütig „das goldene Zeitalter der Sicherheit“ nannte.

Uwe Warrach

 

Hana Voriskova and Muziga –
Hana Voriskova, Helena Vedralova, Jiri Vedral, Tschechien
Moving Pictures

Die BÜhne ist denkbar simpel: ein rechteckiger Kasten, etwas größer als ein Schuhkarton. Ein Bühnenportal ist ausgeschnitten und mit Transparentpapier bespannt. Die Bühne kann von vorne und von hinten beleuchtet werden, so dass sich die Effekte des Schattentheaters (Licht von hinten) mit farbiger Gestaltung (Licht von vorne) verbinden lassen.

Moving Pictures, bewegte/bewegende Bilder – einige Beispiele:

Die Sonne geht auf über dem Wasser (einfache Wellenlinien), sie läuft über den Horizont. Plötzlich taucht rechts ein Strichmännchen mit erhobenen Armen auf, fängt die Sonne und wirft sie zu einem gegenüberstehenden Männchen zurück: Aus der Sonne ist ein Ball geworden.

Am Ende der Aufführung wiederholt sich die Szene, diesmal bleibt aber eines der Männchen an der Sonne hängen. Sie hat sich in einen ein Fesselballon verwandelt. In dem Moment, wo dieser nach oben entschwindet, schwebt an einer Angel ein größerer Ballon mit einem entsprechend größeren „Passagier“ durch den Raum.

Ein Nachthimmel über Bergsilhouetten, die Sterne des Großen Wagens sind zu sehen. Es erscheint eine Hand mit einem Stift und verbindet die Sterne zu einem Wagen, ein Zugtier wird davor gemalt, das Gefährt verlässt seinen Platz und taucht auf einer sich drehenden Himmelsscheibe über der Bühne auf.

Auf ein leeres Transparent malt die Künstlerin Wellen, dann die Konturen fliegender Vögel. Die Vögel werden mit Linien verbunden und wir erkennen nach und nach ein Gesicht mit geschlossenen Augen. Dann „öffnen“ sich die Augen, d. h. Augäpfel und Pupillen werden eingefügt, und ein gütiges Wesen schaut uns an.

Ein kleiner Sack an einer Schnur senkt sich von oben herab. Links und rechts marschieren Strichmännchen auf, die mit Speeren um den Sack kämpfen. Die Hand der Spielerin wischt von hinten die Männchen weg: Es bleiben Kreuze übrig. Damit die Zuschauer nicht zu sicher werden in ihrem moralischen Urteil (wer wäre nicht gegen Krieg und Aggression), senkt sich ein realer kleiner Sack an der schon erwähnten Angel über die Köpfe der Zuschauer – zum Greifen nahe!

Auf diese Weise werden uns in einem Dutzend Ministücken kleine, überraschende, humorvolle, besinnliche Geschichten erzählt. Sie werden begleitet von Helena Vedralová (Geige, Gesang) und Jiří Vedral (Gitarre, Spieluhren, Perkussion), der auch die Angel bedient. Die beiden Künstler spielen die einfühlsame Zwischenmusik und gestalten dezent, aber effektvoll Geräusche und Stimmungen.

Hana Voříšková führt nicht nur die Figuren und zeichnet live, sondern übernimmt hin und wieder Minirollen. So schaut sie versonnen dem Ballon nach, wenn er an der Angel in die Lüfte entschwindet. Überhaupt verfügt die Künstlerin über eine äußerst beredte Augensprache.

Hana Voříšková ist schon mehrmals in Preetz aufgetreten (und wird hoffentlich noch oft auftreten). Gelegentlich wurde diskutiert, ob ihre Aufführungen überhaupt noch Papiertheater sind. Wie dem auch immer sei – ich halte sie für eine der genialsten Spielerinnen bzw. Grenzgängerinnen auf dem Gebiet des Papiertheaters. Ihre Stücke verbinden immensen Einfallsreichtum bei einfachsten technischen Mitteln. Sie sind perfekt in Präsentation und Timing und der Verbindung von Bewegung und Ton. Sie verbreiten gute Stimmung, machen manchmal nachdenklich, ohne mit der Moralkeule zuzuschlagen, und schenken den Zuschauern Momente der Magie, ohne dass man seinen Verstand dabei aufgeben muss.

Horst Römer

 

Der Titel ist Programm: Aus der Sonne, die über den Wellen am Firmament von links nach rechts wandert, wird ein oranger Ball, Kinder spielen im Wasser. Über dem Acker erheben sich Krähen, die sich langsam in ein Gesicht verwandeln, das schließlich gütig auf den bearbeiteten Ackerboden herabschaut. Schmetterlinge schlüpfen aus ihrem Kokon, Augen werden zu Fischen, zu einer Brille. Ein Angler sitzt im Boot, der Haken verschwindet im Wasser, ein Fisch beißt an. Aus einem Kind werden Hände, wird ein Engel.

Sehr gelungen spielt Hana mit dem Hoch- und Querformat ihrer Rahmen, bewegt die Figuren hinter dem Transparentpapier oder malt auf das Papier und erweckt so neue Bilder zum Leben. Dabei wird sie virtuos begleitet, vorwiegend mit Gitarre und Geige, aber auch andere Instrumente kommen zum Einsatz. Während und nach dem Spiel schwebt eine Angel über die Köpfe des Publikums hinweg zur Bühne  und wird mit Accessoires aus der soeben gespielten Szene bestückt. Ein oranger Ballon, ein Mobile mit Schmetterlingen, ein Fisch. So wechselt das Raumgefühl – vom zielgerichteten Blick auf die Bühne zur Wahrnehmung des großen Ganzen. Einfach zauberhaft!

Iris Förster

 

Papiertheaterwerkstatt Heike Ellermann – Heike Ellermann, Oldenburg
Die Papiertiger

Ein Kamel, ein Seehund und ein Affe arbeiten im Zirkus Belzoni. Sie sind sehr unzufrieden: einfallslose Auftritte, triste Quartiere – kein Wunder dass sie Sehnsucht nach ihrer Heimat haben. Die drei Tiere unternehmen einen Fluchtversuch. Doch die Welt außerhalb des Zirkus ist ungewohnt und voller Gefahren.

Sie kehren zum Zirkusdirektor zurück, dieser sieht ein, dass sich etwas ändern muss, und will aus den Dreien die neuen Bremer Stadtmusikanten machen. Aber die Tiere sind akrobatisch überfordert; es gelingt ihnen nicht, sich aufeinander zu stellen. Der Zirkusdirektor kündigt die „Weltsensation“ trotzdem an. Bei der Uraufführung  erscheinen Kamel, Seehund and Affe als maskierte Tiger. Panik bricht aus und nun gelingt die Flucht in eine neue, ungewisse Zukunft.

Heike Ellermann ist eine Buchautorin und Illustratorin aus Oldenburg, und so nimmt es nicht Wunder, dass die Geschichte schön erzählt und eindrucksvoll ins Bild gesetzt wurde. Die Kulissen der traditionellen Papiertheaterbühne waren tief gestaffelt – vor allem die Parks und Wälder – und effektvoll konturiert. Die Beleuchtung konzentrierte sich auf die Prospekte – häufig mit transparenten Elementen, die von hinten beleuchtet wurden.

Die Seitenkulissen waren nur leicht angeleuchtet, so dass sich eine interessante Mischung aus Papiertheater und Schattentheater ergab. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass die Künstlerin die Zirkusszenen und die ungewohnte Welt draußen in Schwarz-Weiß- und Grautönen gehalten hatte. Nur für die Träume der Tiere, die Versuche des Direktors, durch neue Zirkuswagen den Arbeitsplatz angenehmer zu machen, sowie für die Befreiung hatte sie Farben  gewählt.

Eine insgesamt stimmige und stimmungsvolle Farbgestaltung. Ergänzt wurde das Ganze noch durch einen professionellen Sprecher, der nicht nur die Charaktere einfühlsam gestaltete, sondern auch für dezenten Humor und leise Ironie sorgte. Auch der von Profis geschaffene Sound passte hervorragend zu Text und Bildern.

Ein klar aufgebautes, ruhiges Stück, dennoch abwechslungsreich durch relativ viele Kulissen. Damit komme ich zu einem kleinen Einwand: Die Wechsel der Kulissen dauerten nach meinem Empfinden – aber nicht nur nach meinem – zu lange. Da das Stück einen insgesamt beschaulichen Charakter hat, sollten nicht auch noch die Umbauten unnötig verzögert werden.

Man muss beim Kulissenschieben ja nicht derart ins Schwitzen geraten wie Robert Poulter, aber ein bisschen mehr Tempo hätte das Aufkommen von Langeweile sicher verhindert.

Horst Römer

 

Hanauer Papiertheater –
Anne Garrecht, Terry Andrews, Helmut Wurz, Frankfurt
Die Sauerkrautprinzessin

Dabei handelt es sich um Liselotte von der Pfalz, die aus Staatsraison den lasterhaften Herzog von Orléans hatte ehelichen müssen und so an den feudal-verkommenen Hof Ludwig XIV. geraten war.

Die bodenständige, resolute Liselotte zeigt dem hochnäsig-arroganten Adel und seinen Schranzen, was eine Harke ist, schockiert die königlichen Spitzenköche mit ihrer Bestellung von Knackwurst und Sauerkraut und macht aus einem blaublütigen Sittenstrolch einen liebevollen, treuen Gatten.

Die leicht frivole Geschichte wird von Couplets wie „Mein Gott, wie sind wir vornehm“ begleitet, die namentlich die Ohren älterer Zuschauer erfreuen. Ein flott inszenierter Spaß, bei dem es nicht stört, dass er historisch nicht voll abgesichert sein soll. Dafür ist er gelungen. 

Uwe Warrach

 

Haases Papiertheater – Sieglinde & Martin Haase, Remscheid
Vom Zauber des Rheins –
Eine „Sagen“hafte Schiffsreise von Bingen nach KÖln

Premieren tragen ja noch mal eine ganz besondere Stimmung in sich, einen Kitzel, der über die „normale“ Aufführung hinausgeht. Und so macht es sicherlich viel vom Gesamteindruck des Papiertheatertreffens aus, mit welchem Stück man am Freitagabend einsteigt. Ich habe einen Volltreffer gelandet und zum Auftakt zwei Stücke gesehen, die schon mal die ganze Bandbreite aufzeigten. Eines zeigte den Zauber des Rheins.

Es gibt drei Möglichkeiten, den sagenhaften Rhein zu erleben, erläutert Martin Haase vor der Aufführung:

1. Man fährt selber hin und schaut ihn sich an.

2. Man genießt den Rheinwein, bis man weiße Mäuse, Jungfrauen und Ritter sieht.

3. Man besucht eine Papiertheateraufführung.

Wohlan, das habe ich getan: Wie Perlen an einer Kette reihen sich kurze Szenen zu den mehr oder weniger bekannten Sagen des Rheins, verbunden durch eine witzige, fantastisch umgesetzte Rahmenhandlung – ein Bootsausflug auf dem Rhein.

Die Reisenden werden vor und nach der Fahrt von ihrer charmanten Reisebegleiterin zur Kasse gebeten und sehen die Loreley, einen Schützenwettkampf, sehen Drachen und Jungfrauen und fühlen mit dem Mönch, der die Bibelworte „1000 Jahre sind wie ein Tag“ am eigenen Leib erfährt.

Klares Spiel, perfekte Inszenierung ohne perfektionistisch zu wirken. Ganz großes Theater!

Iris Förster

 

Sieglinde und Martin Haase luden Ihre Zuschauer ein, eine muntere Reisegruppe auf eine Rheinschifffahrt zu begleiten.

Kaum dem knallroten Reisebus entstiegen, ging die aus fotografischen Vorlagen gestaltete Touristengruppe samt Reiseleiterin in Bingen an Bord, und los ging’s, indem sich allerdings nicht der Dampfer in Bewegung setzte, sondern – wunderbarer Papiertheater-Zauber – ein herrliches Wandelpanorama. Ein Freund der Haases hatte zu diesem Zweck das um 1830 von Jacob C. Becker gezeichnete „Panorama des Rheins“ sehr gekonnt koloriert.

Auf der Fahrt wurden viele Rheinsagen auf der Papiertheaterbühne lebendig. So wunderten sich die Damen der Reisegruppe beispielsweise beim Passieren der Lorelei darüber, dass sich Ihre besseren Hälften nicht wie sie auf der Steuerbordseite, sondern auf der felsabgewandten Backbordseite aufhielten – war doch hier eine menschgewordene Lorelei deutlich attraktiver als die leblose Natur.

Wir wurden Zeuge, wie der blinde Schütze auf Burg Sonneck sich nicht seine Freiheit durch einen Probeschuss verdient hat, sondern lieber gleich seinen Widersacher direkt erledigte; wir sahen Untote unter größtem Einsatz der Haaseschen Nebelmaschine aus den Gräbern zu Himmerod aufsteigen und wir erlebten, wie auf dem Drachenfels die bereits erwähnte Nebelmaschine einem fürchterlichen Jungfrauen-verspeisenden Drachen zu seinem eindrucksvollen Auftritt verhalf.

Die Heinzelmännchen kamen erbsenbedingt zu Fall und der Mönch von Heisterbach verpasste durch seinen mehrhundertjährigen Schlaf, wie aus den Ruinen seines Kloster die Filiale eine schwedischen Möbelimperiums erwachsen ist.

Dies alles wurde kurzweilig und absolut sehenswert in Szene gesetzt – Höhepunkt war jedoch das Feuerwerk am Ende: dies war so verblüffend gemacht, das es sich der Zuschauer eigentlich nur mit „Projektion“ erklären konnte. Martin Haases Erklärungen nach der Vorstellung zeigten, dass es viel, viel einfacher war. Das ist die wirkliche Magie des Papiertheaters – rheinfach zauberhaft !

Jens Schröder

 

Hellriegels Junior – Gerlinde Holland, Willem Klemmer, Kiel
Ein Nilpferd kommt selten allein / Max und Moritz

Eine kurze Familiengeschichte zuvor (entschuldige Willem,
aber das muss sein …):

In den 1980er Jahren entdeckte der Schauspieler und Rundfunksprecher Heinz Holland das Papiertheater für sich. Und machte dabei eine interessante Ausgrabung: Einer seiner Vorfahren, der Drucker Carl Hellriegel in Berlin, hatte Papiertheater-Bogen gedruckt.

Also nannte Heinz Holland sein Papiertheater „Carl-Hellriegel-Nachfahren“. Mit seiner Frau Gerlinde brachte er nun jedes Jahr zum Preetzer Papiertheatertreffen eine deutsche Ballade auf die Bühne und gewann eine kleine Verehrergemeinde. Bis zu seinem Tod 2001.

Und nun „Hellriegels Junior“, der zehnjährige Willem Klemmer mit seiner Großmutter Gerlinde. Der erste Auftritt vor zwei Jahren hätte noch ein kurzes Aufflackern sein können, eine Sternschnuppe am Papiertheaterhimmel. Begrüßt und vergessen. Das 25. Preetzer Papiertheatertreffen, Juniors dritter Auftritt, aber hat die Bühne als Podium der Umsetzung von Bilderbüchern in das dreidimensionale Papiertheater – fast möchte man sagen – etabliert.

Ja, ja, die Tierliebe … Da geht der Robert nichts ahnend spazieren und – hat plötzlich ein Nilpferd an der Hacke. Gar nicht so einfach, die Eltern davon zu überzeugen, dass das Tier im Planschbecken in Hausgarten doch eigentlich gut aufgehoben ist. Aber, aber „Ein Nilpferd kommt selten allein“. Bald ist es eine ganze Herde, die dem Robert in den Garten folgt. Das ist den Eltern zuviel! Im Branchenadressbuch finden sie die Nummer einer geeigneten Zauberin. Die kommt, verabreicht dem Robert eine Pille – Blitz, Krach, Bumm – und die Nilpferde sind verschwunden! Aber, aber, na ja, mehr wird hier nicht verraten …

Mit Max und Moritz sprengt dann auch „Hellriegels Junior“ den traditionellen Papiertheater-Rahmen. Ein Aufsteller, dessen Front ein dicker Tulpenstrauß schmückt,  in der Apotheke entdeckt, eine quadratische Pappsäule mit drei rechteckigen Öffnungen übereinander, die wohl eigentlich für ein Schönheitsmittelchen werben sollte, reizt die Papiertheaterspielerphantasie und wird zum Tulipan-Theater!

Richtig! Die drei „Bühnenöffnungen“ sind doch wie die Kästchen einer Bildergeschichte. Besonders geeignet für das Häuschen der Witwe Bolte: unten der Garten mit den Hühnern und dem Apfelbaum, an dem sie dann kläglich hangen – „Ach was war das für ein Graus!“ –  und wahlweise der Keller, aus dem die Witwe Bolte eine Portion vom Sauerkohle sich hole, in der Mitte der Herd, auf dem die Hühner „Lieblich in der Pfanne schmurgeln“ und oben das Dach mit dem Kamin, durch den die bösen Buben: „mit Vergnügen sehen sie die Hühner liegen …“

Und das Ende der Geschicht: Jubelnder Beifall für „Hellriegels Junior“, und vielleicht auch dafür, dass die Bühne ein lebendiges Argument gegen das ewige Lamento von der überalterten Papiertheaterszene setzt.  

Norbert Neumann

 

Muthesius Kunsthochschule – Studierende des Fachbereichs Raumstrategien, Klasse von Prof. Ludwig Fromm, unterstÜtzt von Martin Witzel, Kieler Opernhaus, Kiel
Der Spinner

Thomas McMeyer ist der Spinner. Er züchtet Spinnen, spricht mit ihnen und wird letztlich Opfer seiner Leidenschaft.

Studierende des Studiengangs Raumstrategien an der Muthesius Kunsthochschule Kiel unter Leitung von Prof. Dr. Ludwig Fromm haben dieses Stück entwickelt. Der Vorspann entpuppt sich als „fadenscheinig“, wird der aus Fäden gespannte Schriftzug doch mittels Schwarzlicht erst sichtbar. Die comicartig entwickelte Figur des Thomas McMeyer agiert im Raum, das Spinnenlabor wirkt regelrecht gespenstisch.

Leichte, weiße Papierkugeln – Kokons – erobern den  Raum und beherrschen die Szenerie, krabbelnde Insektenhandschuhe erobern die Bühne.  Eine Geschichte, die vom Ende her erzählt wird, eingesponnen in eine technisch und künstlerisch perfekte Aufführung: Hut ab! Das war richtig spannend.

Iris Förster

 

Papiertheater der urbanen KriminaliÄt –
Megi Koschwitz-Herrmann, Walter Koschwitz, Berlin
Kokain – Ein Dichterschicksal in Berlin

In ihrem „Papiertheater der urbanen Kriminalität“ zeichnen Megi und Walter Koschwitz das Schicksal eines Dichters nach, der im Berlin der 30er Jahre versucht Fuß zu fassen. Doch zuvor wird der Zuschauer mittels Erzähler, der im weiteren Verlauf des Stücks dann den Protagonisten mit teils philosophischen Kommentaren begleitet,  mit dem Berlin der 30er Jahre bekannt gemacht.

Nach nur einem Auftritt von Kritikern verrissen, beginnt für den Dichter der Abstieg und er kommt vom Alkohol zum dem Stück seinen Namen gebenden Kokain. Mit vernebelten Sinnen irrt er durch die Stadt, die inzwischen vom Krieg und Bombenangriffen gezeichnet ist. In der fast surrealen Schlussszene endet das Stück dann mit der Befreiung der Berliner Zoo-Tiere durch Bomben und – zumindest gefühlt – auch mit der des Dichters.

Das Bühnenstück bietet viel Fläche auf allen Ebenen, es mit Inhalt zu füllen und die Grenzen des Papiertheaters zu überschreiten. Da sind zunächst die das Stück dominierenden Monologe, mit denen der Dichter vordergründig seine durch Drogen verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung widergibt. Hintergründig enthalten sie aber viele philosophische Ansätze, deren Vertiefung im Kopf des Zuschauers leider bisweilen mit der Schnelligkeit und Flüssigkeit des Spiels kollidiert.

So auch bei dem Hauptwerk des Dichters „Der Motor“, das eigens von Walter Koschwitz für das Stück gedichtet wurde. Untermalt werden die Szenen von dissonanter Musik, die in Verbindung mit den Texten ein intellektuelles Reizklima schafft und den Zuschauer aus seiner geistigen Komfortzone holt.

„Keiner kann so schön Häuserruinen malen wie Koschwitz“, lautete der Kommentar eines Zuschauers. Und tatsächlich ist es ihm wieder einmal gelungen, die Handlung atmosphärisch dicht mit den entsprechenden Kulissen auszustatten.

Die Kulissen sind dann auch der eigentliche Stein des Anstoßes, verbunden mit der Frage, wann und wo Papiertheater beginnt bzw. aufhört.

Eine Fahrt durch Berlin. Bahnhöfe, Sehenswürdigkeiten und Leuchtreklamen fliegen vorbei – in der ganzen Vorstellung vollzieht sich der Kulissenwechsel fließend und die Handlung wird in einem Stück durchgespielt. Der Zuschauer staunt. Berlin,  Mitte der 30er Jahre. Aus einer Menschenmenge verschwinden plötzlich Personen. Der Zuschauer versteht – auch ohne verdeutlichenden Text des Erzählers – was gemeint ist und staunt noch mehr.

Berlin im Bombenhagel, eine ganze Bomberflotte im Anflug. Der Zuschauer ist baff. Nach dem Vorhang dann die Erklärung: bis auf wenige Seitenkulissen und die bewegten Figuren im Vordergrund handelt es sich um eingescannte Bilder, die auf einem Bildschirm als Video abgespielt werden.

Ist das noch Papiertheater? Reicht das Hin- und Herschieben von Papierfiguren vor einem Computerbildschirm aus, Papiertheater zu sein? An dieser Frage schieden und scheiden sich die Geister.

Koschwitz erklärtes Ziel ist, mit Papiertheater zu provozieren, Grenzen zu überschreiten. Das gelingt ihm nicht nur mit seinen Stücken selbst, die beim Zuschauer thematische Auseinandersetzung einfordern, sondern nun auch mit der Art und Weise der Darstellung. Und er macht es einem auch da nicht leicht: Die Kulissen kommen zwar als Video über den Bildschirm eingespielt, sind aber vorher alle mit der Hand gezeichnet worden, so dass ihr Flair trotz Digitalisierung erhalten geblieben ist. Das gilt ebenso für die räumliche Tiefenwirkung, die nicht nur durch die Seitenkulissen, sondern eben auch durch die digitale Umsetzung den Eindruck eher verstärken.

Hier muss der Zuschauer selbst entscheiden, wo seine persönliche Grenze liegt. Die klassischen Tricks wie Kerzenbeleuchtung und Blitzpulver nutzt heute schon aus Sicherheitsgründen niemand mehr bei öffentlichen Aufführungen. Dafür kommen LED-Leuchten, Lichtmischpulte, sowie Computer und CD-Player als akustischer Hintergrund zum Einsatz. Ist nicht bereits das Übertechnisierung, oder nur das Ausreizen des technisch Machbaren im Genre Papiertheater?

Papiertheater jedenfalls lebt von der Überschreitung seiner Grenzen, von der Verblüffung seiner Zuschauer und einem nachhaltigen Erinnern. Das ist bei Koschwitz’ „Papiertheater der urbanen Kriminalität“ mit Sicherheit der Fall und das Stück „Kokain“ somit ein wichtiger Beitrag zur Vielfalt der Bühnen in Preetz.

Olaf Christensen

 

Papiertheater Pollidor – Barbara und Dirk Reimers, Preetz
Der FÜrst der Finsternis

Der Direktion war die Premieren-Sorge anzumerken, ob das Publikum, egal ob mit oder ohne Programmzettel, diese absurde Geschichte überhaupt verstehen würde.

Vom Land des Mahdi aus antiken Trümmern des Sudans heraus geht es, im 19. Jahrhundert, direkt auf den Mond, um dort sagenhafte Goldschätze zu heben. Das geschieht mit Hilfe von Techniken, die selbst Jules Verne bestenfalls in besoffenem Zustand prophezeit haben möchte – und doch: Die Handlung ist ebenso zweifelhaft wie zielorientiert, sentimental wie witzig und so trivial wie achtersinnig.

Dabei überzeugt die Auswahl klassischer Kulissen von Ausgrabungsstätten und Mondlandschaft. Die nicht kleine Figurenschar verlangt den beiden live Sprechenden einiges ab.

Es ging alles gut, auch das Verstehen: Es war (wie so oft) auf der Bühne alles viel klarer als in den Schauspielführern.

Uwe Warrach

 

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