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Freud und Leid eines Zuschauers

Über das 13. Preetzer Papiertheatertreffen 2000
berichtet Willers Amtrup
aus: PapierTheater Nr. 17

Was treibt mich eigentlich jedes Jahr aufs Neue nach Preetz zum Papiertheater-Festival, obwohl ich dabei nur leide? Ich leide im Vorfeld, weil ich niemals in der Lage sein werde, alle angebotenen Vorstellungen zu sehen und mir nächtelang überlege, welche denn wohl die interessantesten sein könnten. Ich leide vor Ort, weil mir die Hände schmerzen vom vielen Klatschen und das Blickfeld meiner Augen sich mehr und mehr einengt auf ein Quadrat oder Rechteck in der Größe einer Bühnenöffnung. Ich leide noch stärker, wenn mir Freunde begeistert von einer Aufführung berichten, die ich nicht sehen konnte. Und schließlich trauere ich jedes Mal auf der Rückfahrt meinem eigenen Wunsch nach, einmal selbst zu spielen – denn mit einem solchen Grad von Können und Professionalität werde ich niemals mehr konkurrieren können.
Was also bewegt mich zur Fahrt ins Mekka des Papiertheaters? Es muss wohl eine leichte Form von Masochismus sein; denn andere, nicht mit dem Papiertheater verbundene Genüsse hat die Stadt mir bisher nicht geboten – wenn es z. B. gemütliche Lokale mit kulinarischen Freuden geben sollte, so habe ich sie bisher nicht gefunden, und die Einheimischen verheimlichen sie möglicherweise vor den hergelaufenen Fremden.

Mein diesjÄhriger Leidensweg begann gleich mit einem Paukenschlag, nachdem ich zunächst dachte, nun könne ich eigentlich gleich wieder abfahren, weil alles weitere dagegen nur noch schrecklich abfallen könne – ich tat es glücklicherweise nicht, denn meine Befürchtung stellte sich mehrfach als unbegründet heraus. Mein erstes Erlebnis war also Robert Poulter’s Mr.Turner Gets Steamed Up, eine von ihm erdachte, aber an den historischen Fakten orientierte Geschichte über die Entstehung von zwei berühmten Gemäldes des noch berühmteren englischen Malers William Turner.
40 (!) in einem atemberaubenden Tempo dargebotene Szenen, alle Dekorationen und Figuren – allein Mr. Turner erschien in mindestens zehn verschiedenen Posen – von Poulter selbst entworfen, schmissig gezeichnet und aquarelliert überraschende, von Comic-Art und Nahaufnahmen im Film inspirierte „Einstellungen“ der Szenerie, raffinierte Lichteffekte und wunderschöne Stimmungen, die mit einfachsten Mitteln erzeugt wurden, witzige (nur leider für mich wegen des teils absichtlich – ? – benutzten Slangs nicht immer verständliche) Texte – kurz: Diese Vorstellung war ein echtes Highlight und bestätigte die Einschätzung in einem italienischen Buch, Robert Poulter sei ein "artista geniale e entustastico".

SpÄter sah ich ausserdem Poulter’s Ausdeutung via Skriabins "Prometheus", in einer kurzen Einführung von ihm warnend angekündigt als experimentelles Theater. Skriabin vertrat – wie zahlreiche andere Komponisten und Maler auch – die These, dass bestimmte Töne und Harmonien bestimmten Farben und diese ihrerseits bestimmten Seelenzuständen entsprächen, konzipierte seine Werke daher zugleich als Ton- und Farbenpartitur und sah vor, dass diese Farben gleichzeitig mit der Musik auf eine Leinwand geworfen würden. Poulter versuchte (so sein eigener Text), die symphonische Dichtung über den Titan Prometheus, der nach der Sage Menschen nach seinem Bilde formte und den Göttern für die Menschen das Feuer stahl, nach Skriabins Vorgaben in ein Lichtspiel umzusetzen, und schuf – wiederum mit einfachsten Mitteln (Butterbrotpapier als "Leinwand" in der Bühnenöffnung, simple Spiegel und Linsen, verschiedenfarbige Glühbirnen und wechselnde Farbfolien) – immer wieder hinreißende Farbstimmungen und Bewegungen des Lichts auf der „Mattscheibe“ und vermittelte insbesondere beeindruckende Bilder von Feuer und Willenskraft.
Ich denke dennoch, dass dieses Experiment, welches Papiertheater nur noch in einem weiteren Sinne ist, noch um einiges verbessert werden kann – vielleicht könnten (denkt der Laie) Spiegel und Linsen beweglicher gestaltet und dadurch variabler eingesetzt werden, um Wiederholungen und einige Gleichförmigkeiten zu vermeiden. Fazit: ein hochinteressantes, steigerungswürdiges (!) Experiment.

Alsdann Poulter zum Dritten – diesmal „nur“ als Autor und Zeichner des Stückes „Die Blutkur“, einer amüsanten Paraphrase über das Thema Dracula. Das Papiertheater Pollidor mit Barbara und Dirk Reimers setzte die heitere Vorlage in einem temporeichen, lockeren Spiel durchaus adäquat um und erntete dafür verdienten, einhelligen Applaus. Die beiden Spieler sprachen alle Rollen sehr variationsreich live, produzierten außerdem sämtliche Geräusche wie Pferdegetrappel undä. wie in der guten alten Papiertheater-Zeit gekonnt selbst, und sogar die musikalische Untermalung kam nicht, wie sonst meist üblich, vom vorgefertigten Tonband: Barbara Reimers überbrückte die notwendigen Umbaupausen gefühlvoll mit teils elegischem, teils melodramatischem Spiel auf der Mundharmonika und setzte diese „schauerliche“ Musik auch während des Spiels gekonnt untermalend ein.

Ganz anders prÄsentierten Rüdiger Koch und Valesca Zürn vom Papiertheater Invisius ihre vergleichsweise eher tragische Dracula-Version: Vor den äußerst stimmungsvollen, fast durchgehend in Schwarz gehaltenen, sehr gekonnt aufgeleuchteten und dadurch die düstere Atmosphäre beeindruckend wiedergebenden Dekorationen von Birgit Hampel lief ein in der Figurenführung ruhiges, vielfach beklemmend dichtes Spiel ab, untermalt von einer eigens für dieses Stück komponierten Klaviermusik (Thomas Hell), der einzigen Konserve in dieser Aufführung. Ansonsten sprachen und sangen (!) auch diese beiden Spieler alle Texte sehr differenziert und ausdrucksvoll live, teilweise raffiniert gesteigert durch schaurige Hall-Effekte, die das Übernatürliche des Geschehens sehr wirkungsvoll unterstrichen. Einzig den Schluss hätte ich persönlich mir etwas dramatischer gewünscht, doch passte auch der ruhige Ausklang durchaus zur Grundkonzeption der Aufführung. Insgesamt war es wieder ein „echter“ Rüdiger Koch, dem ein lang andauernder Erfolg sicher sein dürfte. (Siehe PapierTheater # 13.)

In Bild und Wort ganz klassisch brachte demgegenüber das Papiertheater Loose seinen "Macbeth" auf die kleine Bühne. Unter Benutzung nicht nur alter Papiertheater-Dekorationen, sondern auch eines Engelbrecht-Dioramas sowie von Figuren-Bogen, die auf frühe Berliner Figurinen aus der Ära Brühl zurückgingen, entstanden überaus schöne, zudem perfekt und eindrucksvoll aufgeleuchtete Szenen, zumal die Figuren so ruhig und ohne unnötiges Gezappel geführt wurden, dass man den von der Bühne ausgehenden Eindruck auch wirklich genießen konnte.
Leider bedingte diese technische Perfektion bei insgesamt 16 verschiedenen Bildern ziemlich lange Umbaupausen. Meine eigentliche Kritik gilt jedoch deren obwohl nach dem Programmzettel alle Personen von Berufsschauspielern des Bamberger Theaters gesprochen wurden, wirkte das bis auf wenige Ausnahmen wie eine Lesung mit verteilten Rollen in einer Schulklasse; schade um den schönen klassischen Text (Shakespeare-Übersetzung von Dorothea Tieck).

Zuletzt zur einzigen Opern-AuffÜhrung dieses Festivals, nämlich zur „Zauberflöte“, gegeben von Svalegangens Dukketeater mit Per Brink Abrahamsen: Er hatte die Handlung geschickt so umgestaltet, daß der bekannte Bruch zwischen den beiden Akten vermieden wurde, und wählte als Ausgangspunkt (sehr überzeugend als Schattenspiel dargestellt) einen sterbenden König, der seine Tochter Pamina (und einige magische Machtinstrumente) lieber dem weisen Sarastro als seiner reichlich herrschsüchtigen Gemahlin (der Königin der Nacht) anvertraut, die ihrerseits nun alles daran setzt, diese Zauberinstrumente zurück zu erlangen, und dazu gegenüber dem Prinzen Tamino das Bildnis Paminas als Lockmittel benutzt. Per Brink Abrahamsen hatte sich für die Aufführung von Roswitha Vigl sehr schöne neue Dekorationen entwerfen lassen (siehe PapierTheater #16), in denen er seine Beleuchtungsraffinessen wirkungsvoll einsetzen konnte – mehrfach hätte man am liebsten in die Aufführung hineingerufen, er möge ein Bild länger stehen lassen, um sich länger daran freuen zu können. Hinzu kamen immer wieder liebenswerte kleine Späße – am schönsten die Ankündigung vieler kleiner „Kinderlein“ für Papageno und Papagena, wobei im Verlauf des Duetts immer zahlreicher werdende Vögel auf den Bäumen erschienen. Auf dem Papiertheater unvermeidbar war natürlich, dass die Oper gekürzt werden musste, so dass auch der eine oder andere „Schlager“ der Schere zum Opfer gefallen war; ich sehe darin keinen Nachteil. Allenfalls könnte man (ganz zart!!) kritisieren, dass der Aufführung die doch etwas umstrittene Schallplatten-Aufnahme von Karl Böhm aus dem Jahre 1965 zugrunde lag; es gibt bessere.

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