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Von Heiligen und Bösewichtern

Eine Bilanz des 15. Preetzer Papiertheatertreffens von Willers Amtrup
aus: PapierTheater Nr.23

Ach, was muss man oft von bösen Buben hören oder sehen…

Das Eingangszitat spielt natÜrlich auf das „Max und Moritz“-Musical des „Papiertheater Beelte“ an – aber auch sonst gaben sich beim diesjährigen Papiertheatertreffen böse Bube reihenweise ein Stelldichein. 15  Jahre Preetz – eine stolze Bilanz, mit der zu Beginn wohl niemand gerecht hätte.
Und trotz einiger finanzieller Sorgen (und damit zusammenhängenden Gerüchten über ein bevorstehendes Ende des Festivals) soll es weitergehen – schon ist das nächste Treffen für Mitte September 2003 angekündigt. Deshalb noch einmal Wilhelm Busch: Manche dacht’ : Die sind perdu; Aber nein, noch leben sie! (und werden hoffentlich noch lange weiterleben!)

Doch nun  zur Sache: Elfriede, Klaus und Michael Beelte spielten 5 Streiche und das „tragische“ Ende der beiden bösen Buben als flottes Musical, zu dem ein früherer Lehrer Michael Beeltes eine schmissige Musik, gesungen von einem Schulchor, komponiert hatte. Klaus Beelte hatte die Busch’schen Zeichnungen gekonnt dreidimensional umgesetzt und glänzte wiederholt mit überzeugenden Tricks, etwa beim Sturz des Schneiders Böck in den Bach, beim Angeln der Hühner der Witwe Bolte und besonders beim abschließenden Schreddern dar Bösewichter in der Mühle.
Als Zuschauer, der ja gut weise Ratschläge geben kann, hätte ich nur eine einzige Anregung – könnte man statt einer Hintergrundprojektion nicht auch die dramatischen Vorgänge beim Lehrer Lämpel in eine plastische Spielhandlung umwandeln?

Als Kontrast zur geballten TÜcke vom Max und Moriz ein Heiliger: Der Franziskaner Jon Bankert mit seinem „Vest Pocket Playhouse" aus Long Island/USA, der im vorigen Jahr wegen des Attentats in New York absagen musste, spielte in „Tales of Saint Francis“ drei Szenen aus dem Leben seines Ordenspatrons, des heiligen Franz von Assisi, die er zur Musik von Arthur Sullivan mit schöner Stimme singend erzählte.
Bankert hatte sehr stimmungsvolle Szenen mit schönen Beleuchtungseffekten geschaffen; bemerkenswert auch seine mit Computerhilfe gestalteten Figurinen, die fast plastisch und sehr lebendig wirkten.

Ebenfalls aus den USA kamen erneut „Great Small Works“,  diesmal mit „Three Books in the Garden“, einem zwar handlungsarmen, aber dennoch beeindruckenden Stück, welches zunächst die religiöse Toleranz zwischen Moslems, Juden und Christen im maurischen Andalusien des 14. Jh. besang und dann darstellte, wie dieser Frieden in Streit, Intoleranz, Hass und das Bestreben überging, Andersgläubige durch die Vernichtung ihres Schrifttums aus dem Wege zu räumen.
Eindrucksvoll das Eingangsbild, der Garten des Generalife in Granada mit den heiligen Büchern der drei Religionen, und beklemmend der spätere Blick in eine Bibliothek, deren Bücher nach heftigem Gezänk in Flammen aufgehen.
Die Parallele zu Bilderstürmereien und Bücherverbrennungen durch die verschiedenen Religionen bis hin zum Rassenhass des Dritten Reiches, hat sicherlich nicht nur mich betroffen gemacht.

ZurÜck zu den BÖsewichtern: Machteld van Nieuwkerk (Theater „Puppetales“)  präsentierte – im Gegensatz zu ihrer sehr ruhigen Fabel bei ihrem ersten Auftritt in Preetz – diesmal, eingebettet in eine heitere Rahmenhandlung, ein aktionsreiches afrikanisches Märchen über einen afrikanischen Königssohn, dem auf dem Weg in seine Heimat seine schöne Braut abhanden kommt, weil ein böser Geist sich an ihre Stelle setzt; natürlich gibt es, wir sind ja im Muhen, schließlich ein happy end, nachdem der böse Geist verstoßen und die junge Braut im letzten Moment den wilden Tieren, die sieh schon heißhungrig die Zähne geleckt haben, entrissen worden ist.
Das alles ist von der Spielerin in schönen, leuchtenden Farben selbst gezeichnet worden, und ihr sind vielfach eindrucksvoll ausgeleuchtete Szenen mit stimmungsvollen Bildern und teilweise sehr komischen Figuren gelungen. Der Soundtrack mit sehr abwechslungsreich eingesetzten afrikanischen Melodien und Rhythmen und sehr differenziert gestalteten Personen hat mich ebenfalls besonders beeindruckt.

Happyendlich schloss auch „Das Gottesurteil“, dargeboten von Peter Schauerte-Lüke mit seinem „Don Giovanni, Käthchen & Co.“. Das Stück, dessen Dekorationen und Figurinen von Robert Poulter gezeichnet wurden, schildert Kämpfe zwischen verfeindeten Parteien im Bergischen Land, in deren Verlauf ein „gute“ Edelmann im Zweikampf einen anderen tötet dann von einem „bösen“ Rivalen fälschlich des hinterhältigen Mordes bezichtigt wird und nur dadurch einer Verbannung entgehen kann, dass er ein Gottesurteil durch einen als unmöglich geltenden Sprung über eine Schlucht der Wupper besteht – das Ganze garniert mit einer Liebesgeschichte, viel Kampfgetöse und Volksauflauf .
Die Aufführung begann bei geschlossener Bühne mit der Rekrutierung einer Komparserie – zahlreiche Zuschauer bekamen Lärminstrumente in die Hand gedrückt, mit dem sie später als „Volk“ und Kämpfer den Spieler unterstützen mussten. Die mich auch hier faszinierenden Dekorationen und Figurinen Poulters, darunter Kampfszenen mit einem Massenaufgebot von Figuren, erwähne ich in diesem Falle nur am Rande.
Denn die Aufführung wurde primär geprägt von dem Erzkomödianten Peter Schauerte-Lüke, der mit enorm variationsreicher Stimme die verschiedenen Personen zu echtem Leben erweckte und singend sogar Duette zwischen einer umschwärmten Schönen (im Falsett!) und ihrem Partner zum besten gab – am Schluss nahm ein erschöpfter Spieler stürmischen Beifall entgegen.

Noch ein weiterer ErzkomÖdiant ist hier zu erwähnen, Peter Peasgood, der zusammen mit seiner stimmgewaltigen Ehefrau Sylvia als „Thimble Theatre“ die turbulente Harlekinade „Escape from Covent Garden“ aufführte.
Die Handlung dieser auf die italienische Commedia dell' Arte zurückgehenden und auch mit dem Personal agierenden Komödie kann man rasch pauschal zusammenfassen: es geht um die immer wieder von dem boshaften Pantalone gestörte Liebesbeziehung zwischen Harlekin und Colombine.
Wie besonders Peter Peasgood das, live gesprochen, in schnellen Szenen gestaltete, wie er die Akteure in urkomische Aktionen über die kleine Bühne wirbeln ließ und immer wieder das Publikum zur Mitwirkung animierte, war ein Riesenspaß, den die Zuschauer mit verdientem Beifall belohnten.

Sehr gespannt war man natÜrlich auf das „Duell“ zwischen den beiden „Japanern" – ich kann nur konstatieren, dass beide „ins Schwarze trafen“ und dennoch jeder heil und lebendig aus dem Wettstreit hervorging. Beginnen wir mit Robert Poulters  „The Loyal 47“, einem auf das Papiertheater transponierten Kabuki Drama, in welchem ein Edelmann während einer Ausbildung in Hofetikette von einem bösartigen, aber höhergestellten Lehrer so schikaniert wird, dass er diesen schließlich tätlich angreift.
Die Konsequenz ist nach dem japanischen Sittenkodex ein erzwungenes Harakiri des „Guten“, was wiederum seine 47 Vasallen nicht ruhen lässt; sie sinnen auf Rache, schläfern durch mancherlei Listen und Verstellungen die Wachsamkeit des „Bösen" ein, können ihn täten und müssen am Ende allesamt selbst Harakiri begehen.
Poulter bringt dieses Drama mit einem überzeugenden Soundtrack in eine furiose Spielhandlung, in der die einzelnen Figuren in vielen verschiedenen Positionen sehr charakteristisch dargestellt werden.
Die souverän gestalteten Dekorationen und Figurinen, seine ästhetisch überaus reizvollen Bilder mit Staffelungen, die teilweise in eine Art Schattenspiel übergingen, schöne Interieurs, raffinierte Effekte mit einfachsten Mitteln, wunderbare Roll-Hintergründe und ein rasantes Spiel (mag auch die Bühne dabei manchmal wackeln, was einige Puristen bemängelten) begeistern mich immer wieder. Das Publikum dankte mit langem Applaus.

Ganz anders und verhaltener demgegenüber das zweite japanische Stück, „Koremochi“, gespielt von „Römers Privattheater“. Auch hier geht es um Gut und Böse: Drei böse Geister, die zu diesem Zweck die Gestalt schöner Frauen annehmen, becircen, wen wundert’s, in dieser Aufmachung tapfere Männer und bringen sie dann hinterlistig um.
Der Held Koremochi wird vom Kaiser ausgesandt, um den bösen Schönen das Handwerk zu legen, was ihm nach einigen Kämpfen mit Hilfe eines Gottes auch gelingt. Das Ganze entbehrt dadurch nicht einiger Tragik, dass einer der Geister sich eigentlich in der Frauenrolle ganz wohl fühlt – und wen wundert auch das? – die Männer im Grunde eher lieben als umbringen möchte – allerdings kann schließlich auch er (sie?) nicht wider die wahre Natur und muss am Ende auch dran glauben.
Die schönen Dekorationen und Figurinen Horst Römers fangen japanische Atmosphäre und japanisches Kolorit gekonnt ein, und natürlich gibt es auch hier interessante Kampfszenen und gelungene Verwandlungen, etwa die von Frauen in Geister, aber der gewichtigste Unterschied zu Poulters Stück liegt im Libretto: Der Brillanz des nach meiner Meinung alle überragenden Zeichners und Aquarellisten Poulter stand beim „Koremochi“ die Brillanz des Wortes gegenüber keine einzige der von mir in diesem Jahr gesehenen Aufführungen konnte mit einem derartig intelligenten, z.T. satirischen Text glänzen, wie er von Horst Römer unter Verwendung der verschiedensten Quellen geschaffen worden war; lyrische Passagen mit kurzen japanischen Gedichten wechselten mit spritzigen Dialogen. Auch hier belohnte einhelliger Applaus die Spieler.

Einen weiteren BÖsewicht präsentierte der unermüdliche Robert Poulter mit seiner Papiertheater-Version der seit 1829 zum Standardrepertoire englischer Bühnen gehörenden „Black Eye’d Susan“: Die Eheleute Susan und William müssen getrennt leben, weil Susans boshafter Onkel es fertiggebracht hat, William zum Dienst in der Marine abzuschieben, um sie in dessen Abwesenheit besser schikanieren zu können.
Als später Williams Schiff in seiner Heimatstadt ankert, belästigt sein betrunkener Kapitän Susan so sehr, dass er von dem hinzukommenden William niedergeschlagen wird.
Das bedeutet bei der Royal Navy unweigerlich das Todesurteil, dessen Vollstreckung William in letzter Minute nur dadurch entgeht, dass bei dem in der Zwischenzeit ertrunkenen bösen Onkel ein Brief gefunden wird, der ihn eindeutig entlastet.
Voran gingen 56 Minuten rasanten Spiels mit einer schier unglaublichen, überwältigenden Fülle von Dekorationen und Figuren in den verschiedensten, ständig wechselnden Positionen, mit hinreißenden Szenenbildern: Nacht und aufgehende Sonne im Hafen von Deal, Schlusstableau auf dem zur Hinrichtung vorbereiteten Vorschiff mit bombastischer Musik von „Britannia Rules the Waves“. Das war für mich ein Abschluss des Preetz-Besuches, wie er gelungener nicht hätte sein können.

Ein paar Bemerkungen zum Schluss: Wahrscheinlich ohne Verschulden der Veranstalter mussten etliche Vorstellungen mit Verspätung beginnen, weil der „Menschenfeind“ des „Figurentheaters Liselotte“ offensichtlich viel zu lang geraten war; das wäre zukünftig sicherlich vermeidbar, wenn alle Spieler präzise Angaben über ihre Spieldauer machten und sich daran auch hielten.
Sehr erfreulich und schmackhaft war wieder die leibliche Betreuung durch das Team des „Theater-Restaurants“, und besonders zu begrüßen war es, dass es nach den Strapazen der Auktion am Samstag zum ersten Mal gelungen war, einen großen Teil der Spieler und viele Mitglieder des „harten Kerns“ von Enthusiasten an einer langen Tafel eines mittlerweile existierenden angenehmen Restaurants zusammenzuführen. Nicht verschweigen will ich schließlich, dass von einigen Zuschauern die Kritik geäußert wurde, ausländische Bühnen, bei dem man den Text (englisch) nicht genügend verstehen könne, hätten inzwischen ein zu starkes Übergewicht in Preetz bekommen – ich kann diese Kritik nicht teilen und würde es im Gegenteil für einen schweren Verlust halten, wenn Spieler aus dem übrigen Europa und aus Übersee, die uns ja auch einen Einblick in außerdeutsche Sicht- und Denkweisen vermitteln, weniger oft nach Preetz kommen.

Insgesamt war auch diesmal das Preetzer Festival für mich wieder ein Erlebnishöhepunkt des Jahres  und wie immer muss ich beklagen, dass ich wieder nur einen Teil des Angebotenen sehen konnte und dass das nächste Papiertheatertreffen erst nach Ablauf eines langen Jahres stattfindet. Bis dann …

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