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Wertvolles Kulturgut Kofferweise

Vom 17. Preetzer Papiertheatertreffen
berichtet Willers Amtrup

das 17. preetzer dapiertheater-treffen ist leider schon wieder Vergangenheit, aber wie es aussieht, wird diese wunderbare, auch diesmal mit großer Begeisterung aufgenommene Tradition trotz aller finanziellen Engpässe weiter fortgesetzt werden können. Mir bleibt nur eine Nachlese, die auch diesmal unvollständig ist – man kann sich halt nur so schwer zerteilen.

 

The Miller and His Men

Mein Einstieg war »The Miller and His Men«, gespielt von Jon Bankert mit seinem kleinen Vest Pocket Playhouse. Schon die humorige Einführung vor der Bühne war ein kleines Schauspiel für sich, und man kann Bankert natürlich nur zustimmen, wenn er diesen Renner des englischen Juvenile Drama als im Grunde ausgesprochen »stupid« bezeichnete.
Es folgte eine Aufführung in traditioneller britischer Spielweise mit Dekorationen und Figuren aus der 1864 erschienenen Zeitschrift »Boys of England«; sie lebte von Bankerts überaus variationsreicher und ironisch gebrochener Sprache mit kleinen Gesangseinlagen, einem flüssigen Spiel mit den Figurinen in ihren vielen verschiedenen Positionen und gipfelte natürlich in der berühmten Explosion der Mühle; Bankert gestand später in geselliger Runde, daß er den »Miller« überhaupt nur wegen dieses Knalleffekts ausgesucht und gespielt habe.

Pirates of Penzance

Eher noch verworrener, abstruser ist die Handlung der »Pirates of Penzance« nach einer Operette von Gilbert und Sullivan, die Peter’s & Peter’s Pirates Show, nämlich Peter Baldwin und Peter Schauerte-Lüke in einer höchst witzigen eigenen Bearbeitung mit von Stephen Langdale gezeichneten Figurinen aufführten: Ein junger Mann wird auf Grund eines Versehens nicht zum »pilot« (= Kapitän), sondern zum »pirat« ausgebildet, kann aber diese Lehre wider Erwarten nicht mit 21 Jahren abschließen, weil er in einem Schaltjahr am 29. Februar geboren wurde und deshalb nur alle vier Jahre Geburtstag hat; dadurch gerät er in einen Konflikt zwischen Pflichterfüllung seinen Lehrherren gegenüber und seiner Neigung zu Gesetzestreue und seiner Braut.
Das alles führt mit einigen Nebenhandlungen zu Verwicklungen, zu Kämpfen zwischen Piraten und Polizei und schließlich zu einem Happy End unter Aufsicht der Queen Victoria. Kurz: eine Nonsens-Geschichte – aber welchen umwerfenden Spaß haben die beiden Peter daraus gemacht! Meist auf englisch und mit ständig wechselnder Stimmfärbung warfen sie sich die Bälle im Dialog zu, sangen vom Baß bis zum Falsett Couplets, Duette und ganze Chöre, agierten mit Enthusiasmus und Witz. Das hätte noch stundenlang so weitergehen können und war einer der bejubelten Höhepunkte des Festivals.

Der Nussknacker

Bleiben wir beim Musikalischen, nämlich dem »Nussknacker« vom niederländischen Vischmarkt Papieren Theater. Harry Oudekerk greift bei seiner Adaption von Tschaikowskys Ballet (»Der Nußknacker und der Mäusekönig« von 1892) auf die Version E. T. A. Hoffmanns zurück, schildert ein Weihnachtsfest im Hause des Konsuls Stahlbaum, bei dem die Tochter Clara einen Nussknacker geschenkt bekommt.
Nachts träumt das Mädchen von einem schrecklichen Durcheinander im Kinderzimmer mit dem Angriff eines Mäuseheeres auf die Spielzeugsoldaten und den Nussknacker, welch letzterer schließlich nur durch das Eingreifen Claras gerettet wird. Zum Dank fährt jener mit Clara, begleitet von diversen weiteren Scharmützeln mit dem Mäusekönig und seinem Heer, ins Schlaraffenland, wo er auf wundersame Weise von einer Holzfigur in einen schönen Prinzen (zurück)-verwandelt wird. Ende gut, alles gut: Prinz und Clara heiraten; ein Riesenfeuerwerk beschließt das Fest und wenn sie nicht gestorben sind ...
Unter Verwendung von Bildern von Maurice Sendak aus der englischen Ausgabe des Hoffmann-Märchens gestaltete Oudekerk eine überaus gelungene Bilderfolge, in der die verschiedenen Stimmungen (statt vieler seien genannt die winterliche Stadt und das nächtliche Kinderzimmer) überzeugend eingefangen wurden. Immer neue witzige Tricks (wieder nur beispielsweise: Gewehrsalve auf das anrückende Mäuseheer, Verwandlung eines Winterbaumes, Seegefechte und das Schlussfeuerwerk) brachten die Zuschauer teilweise zum Beifall auf offener Szene. Nun hat Tschaikowsky ja bekanntlich kein Märchen, sondern Musik geschrieben – die kann man heutzutage mit einem Computerprogramm effektvoll verfremden und trotzdem erkennbar bleiben lassen.
Bei früherer Gelegenheit (vgl. PapierTheater Nr. 20) hatte ich mich dazu wenig begeistert geäußert – mit der von Oudekerk jetzt erreichten Qualität kann ich dagegen gut leben, auch wenn meine (zugegeben altmodischen) Ohren den vollen Orchesterklang immer noch vorziehen. Die Computerbearbeitung hat aber einfach den Vorteil, daß die Melodien in der gerade benötigten Länge eingesetzt werden können, während man in der Originalversion immer vor dem Problem steht, die Musik entweder abrupt abschneiden oder sie zu lange stehen lassen zu müssen.

HÄnsel und Gretel

Dieses Dilemma zeigte sich deutlich bei einer anderen Aufführung mit klassischer Musik, Humperdincks »Hänsel und Gretel«, dargeboten von Jens und Pauline Schröder mit Bode’s Koffertheater. Mit den von m+n Reprise nachgedruckten Scholz’schen Dekorationen und Figurinen gelang der zum ersten Mal in Preetz spielenden Bühne eine schöne (im kaum auf die verschiedenen Personen abgestimmten Sprechtext allerdings noch verbesserungsbedürftige) Aufführung im traditionellen Stil, bei der mir die stimmungsvolle, gut beleuchtete Szene mit der Engelstreppe besonders gut gefiel.
Aber die Musik: Schröder verwendete eine Original-Tonträgeraufnahme – und wenn man dabei beispielsweise das Männlein im Walde oder die Arien von Sand- und Taumännchen in voller Länge mit allen Wiederholungen ausspielt, so ist das auf der Opernbühne mit entsprechend agierenden lebendigen Sängern natürlich berechtigt, wirkt aber mit starren Flachfiguren auf dem Papiertheater eher ermüdend. Die einzigen gelungenen Gegenbeispiele, die mir dazu einfallen, sind Robert Poulters vollständiger »Robert le diable« und Per Brink Abrahamsens »Ring des Nibelungen«.

Child of Wax / Ingwnya ne mfene

Teilweise musikalisch ging es auch in den zwei Stücken zu, die Machteld van Nieuwkerk mit ihren Puppetales präsentierte. Im »Child of Wax« geht es um ein unglücklicherweise mit heller Hautfarbe geborenes afrikanisches Kind, das deshalb, weil angeblich unheilbringend und ansteckend, von allen in seinem Dorf gemieden wird; es errettet dann aber tapfer den Lieblingssohn des Häuptlings vor einem bösartigen Kannibalen und weist anschließend die Chance, wegen dieser Heldentat doch in die Gesellschaft integriert zu werden, in der Erkenntnis zurück, daß es selbst jetzt noch nicht akzeptiert werden wird.
Anschließend folgte »Ingwnya ne mfene«, die Geschichte eines Affen und eines Krokodils, welches von dem Affen dahin bekehrt wird, statt seiner nach Absingen anständiger Lieder Genuß am Verzehr von köstlichen gelben Mangos zu finden. Dekorationen und Figurinen beider Stücke waren sehr liebevoll in strahlenden Farben gestaltet, in den Formen klar und einfach, aber nicht simpel.
Der Spielerin gelingt eine sehr ausdrucksstarke Figurenführung – köstlich die Auftritte der den Häuptling umschmeichelnden Haupt- und Nebenfrauen, des Kannnibalen in mehreren verschiedenen Positionen und des träge sein Maul aufreißenden Krokodils.
Machteld van Nieuwkerk sprach alle Figuren live so differenziert und variationsreich, wie man es sich nur wünschen kann, baute zur Auflockerung kleine afrikanische Gesänge ein und überzeugte durch ihre warme Ausstrahlung.

 

Wenn ich erst jetzt zu vier weiteren Aufführungen komme, so bedeutet das keinesfalls, daß sie hinter den bisher besprochenen zurückstünden im Gegenteil: sie waren allesamt weitere Glanzlichter des diesjährigen Festivals und haben eines gemeinsam: alle Dekorationen und Figurinen sind eigene Original-Entwürfe der jeweiligen Spieler.

 

Oberons Kiste

Beginnen wir mit dem Heiteren, nämlich »Oberons Kiste« von Römers Privattheater. Basierend auf einem Versepos von Martin Christoph Wieland führt uns Horst Römer mit einem geistreich und witzig gereimten (allerdings in der Sprachgestaltung noch nicht restlos überzeugenden) Libretto das ewig streitende Paar Oberon und Titania vor, die einander die Geschichte des mittelalterlichen Ritters Hüon erzählen.
Dieser mußte zur Strafe für einen Totschlag die Sultanstochter Rezia aus Bagdad entführen, was zwangsläufig dazu führte, daß beide sich in einander verliebten. Oberon versucht beide wegen einer Wette mit Titania voneinander zu trennen, Titania steuert dauernd dagegen, was bis zum glücklichen Ende immer neue Komplikationen ergibt.
Die werden nun in einer raschen Szenenabfolge mit ausgesprochen originellen Dekorationen dargestellt, die vielfach bewußte Anleihen aus mittelalterlichen Darstellungen sind; so zeichnete Römer nach dem bekannten Teppich von Bayeux einen angeblichen Teppich des Hüon, aus dem dieser und sein Knappe dann richtiggehend herausreiten.
Während einer Rast beider im Walde beginnen dort die Vorbereitungen der Elfen für die Johannisnacht das wird mit Blitz, Donner und blauen Irrlichtern sehr wirkungsvoll dargestellt; überhaupt ist die Lichtregie durchweg sehr gut gelungen. Die Johannisnacht selbst bietet dann Gelegenheit, eine ganze Schar interessanter, amüsant gestalteter Geister (Elfen, Trolle, Nixen usw.) erscheinen zu lassen. Insgesamt eine äußerst sehenswerte Aufführung!

Draculas Tochter

In nicht ganz so grauer Vorzeit, aber wiederum märchenhaft spielt die halb gruselige, halb amüsante Geschichte von »Draculas Tochter«, gestaltet von Eric Poirier mit seinem Théâtre L’Egrégore. Der Erzähler Ernest berichtet, wie er in Venedig seine spätere Frau kennenlernte, die sich dann leider als Tochter des Fürsten Dracula entpuppte, ihn in die Karpaten mitnimmt und dort, statt ihn, wie ersehnt, zärtlich zu küssen, durstig zur Ader läßt und damit zu einem ewigen Untoten werden läßt.
Poirier, der während der ganzen Aufführung offen sichtbar kommödiantisch agiert, läßt sein Stück höchst originell auf einer Bühne beginnen, die gar keine ist, sondern nur ein Ständer mit diversen Reklametäfelchen u.a. für Zahnpflegemittel und Essenzen zur Verbesserung des Blutes – was ein Vampir halt so braucht. Die Szene in Venedig spielt ebenfalls gleichsam im Nichts, nur mit einer kahlen Rückwand, an der dann mit Wäscheklammern ein paar Ansichtspostkarten befestigt werden. Die Fahrt mit der Kutsche in die Karpaten geschieht als Schattenspiel im Sockel der Bühne, die dann erst für die Szenen in Transsilvanien vollständig aufgebaut wird.
So wird mit sparsamsten Mitteln eine große künstlerische Wirkung erreicht. Hervorzuheben sind die äußerst skurrilen, ausdrucksstarken und sehr sprechend geführten Figurinen, deren Dialoge der Spieler, von Haus aus Schauspieler, auf englisch in einer beeindruckend nuancierten Weise sprach mit einem Augenzwinkern könnte man allerdings zusätzlich anmerken, daß sein französischer Akzent die Schauerlichkeit des Geschehens noch unterstrich.

Pizarro

Ebenfalls in die Vergangenheit führte uns Robert Poulter mit seinem New Model Theatre in »Pizarro«. Basierend auf Dramen von Sheridan und Kotzebue schildert er eine tragische Episode aus der Eroberung Perus durch den spanischen Heerführer Pizarro: Der zu den Peruanern übergewechselte frühere spanische Unterführer Alonzo, inzwischen mit der Peruanerin Cora verheiratet, wird bei einem Kampf gefangengenommen, dann aber von dem peruanischen Heerführer Rolla befreit, indem er Alonzos Platz im Gefängnis einnimmt.
Als später die Spanier Alonzos und Coras Kind in ihre Gewalt bringen können, gelingt es Rolla, das Kind an sich zu reißen und zu entfliehen. Auf der Flucht schwer verwundet, kann er nur noch Cora, die er liebt, ihr Kind übergeben und stirbt.
Trotz einiger kleiner Abstriche – mir sind z.B. die FelsenDekorationen etwas zu einfach ausgefallen – ist auch dieses Stück wieder ein echter, großartiger Poulter! Es beginnt furios mit einer Szene in einem Zelt, an dessen Rückseite man Kolonnen spanischer Soldaten vorbeiziehen sieht, weitere sehr abwechslungsreich gezeichnete Kolonnen spanischer und peruanischer Krieger treten immer wieder in Erscheinung.
Faszinierend und überaus exakt waren verschiedene Tricks, z.B. eine bei Rollas Flucht zusammenbrechende Brücke. Die einzelnen Figurinen, besonders Pizarro, Cora und Rolla werden teilweise in mehr als 20 verschiedenen, ausdrucksvollen und blitzschnell gewechselten Körperhaltungen eingesetzt eine solche Variationsbreite und solche Präzision in der Darstellung, ein solch atemberaubendes, geradezu artistisches Spieltempo kenne ich nur von Poulter! Daß bei diesem Tempo das Spiel mit dem Licht an einigen wenigen Stellen etwas zu kurz kam, kann nicht Wunder nehmen. Nichtsdestoweniger: ein Highlight!

Dr. Mackuse gewinnt den Krieg

Und dann ein weiteres: »Dr. Mackuse gewinnt den Krieg«, gezeichnet, geschrieben und aufgeführt vom Berliner Papiertheater der urbanen Kriminalität. Walter Koschwitz führt uns mit seinem Stück, der Fortsetzung des im letzten Jahr uraufgeführten Dr. Mackuse kehrt zurück, in die jüngste Vergangenheit, nämlich die Jahre 1944–45 in Berlin. Einen (Gottlob vereinzelten) empörten Zuschauer veranlaßte das zu der lautstarken Kritik, so etwas gehöre nicht auf das Papiertheater – dem kann ich nur energisch widersprechen!
Die Liebe zu diesem Medium hat zwar nostalgische Wurzeln, aber es würde erstarren und sterben, wenn es nur Unverbindliches, in der Historie, der Sage oder dem Märchen Spielendes präsentieren dürfte, und ebenso wie viele Spieler neue, weiterführende Spielformen gefunden haben, ist es nicht nur erlaubt, sondern notwendig, auch inhaltlich Neuland zu betreten.
Das geschieht hier, und zwar nicht in einer fortlaufenden Handlung, sondern in einzelnen Bildern von fast immer beklemmender atmosphärischer Dichte, begleitet von einem vielfach sehr kritischen, manchmal bitterbösen, von Koschwitz selber geschriebenen Text, dessen betont simple Reimform den kritischen Inhalt noch unterstreicht.
Die verhältnismäßig langen Umbaupausen sind mit kommentierender Musik gut überbrückt. Da wird das egoistische Treiben von Kriegsgewinnlern gezeigt, eine gespenstische Zugfahrt durch das zerstörte Berlin, dessen Ruinen (nach Originalfotos gezeichnet) auf einem faszinierenden, endlos langen Rollhintergrund am Abteilfenster vorbeigleiten, eine Fahrt Mackuses auf einer Gondel durch überflutete U-Bahnschächte, begleitet von Offenbachs Barcarole, das Treiben in einer Ami-Bar im Nachkriegs-Berlin und schließlich eine Art Vorratsmagazin Mackuses in einem großartig gezeichneten Kino, in dem die bei Kriegsende zusammengerafften Trophäen für eine Verwendung in der Zukunft gestapelt werden. Es gab vereinzelte Kritik an der Länge des Stückes und vielleicht könnte man tatsächlich eine (die vorletzte) Szene auf die Hälfte verkürzen.
Trotz dieser Anmerkung: Ein Erlebnis ersten Ranges, das anders als viele andere Inszenierungen nicht primär unterhaltsam ist und es auch nicht sein will, sondern durch Bild und Text auch Betroffenheit auslöst.

 

Zum guten Schluss bleibt wie bisher nur der hoffnungsvolle Wunsch: Nächstes Jahr in Preetz!

 

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