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Tradition, Vergnügen, Piraten und Vampire

Das 17. Papiertheatertreffen in Preetz fand statt
vom 10. bis 12. September und konnte auch dieses Jahr wieder ein breites Spektrum an Papiertheatervorstellungen bieten, die in ihrer Gesamtheit den Status
des Papiertheaters im Jahre 2004 repräsentierten.

Von  Sven Erik Olsen / Sufløren

StÄndig mÜssen wir uns daran erinnern, dass das Treffen in Preetz im Zeichen des Papiertheaters steht, dass es daher nicht um Marionetten oder Handpuppen geht, sondern vielmehr um traditionelles Papiertheater, Modelltheater oder wie man es auch nennen soll. In der Realität kann man ins Zweifeln kommen, weil das Treffen in Preetz in diesem Jahr so viele verschiedene Vorstellungen bieten konnte, dass man sich schwer auf die gerade aktuelle Richtung festlegen konnte. Man kann wirklich darüber grübeln, wohin der Weg gerade geht, und die Teilnehmer aus acht verschiedenen Ländern konnten auch keine eindeutige Antwort darauf geben.
Dieses Jahr nahmen Repräsentanten aus Dänemark, Holland, Deutschland, Frankreich, Schweden, England, den USA und Südafrika teil. Das ist eigentlich sehr beeindruckend! Wenn man bedenkt, wie viele Kilometer die einzelnen Mitwirkenden zurückgelegt hatten, um ihre Theater in Preetz aufzubauen, und dann noch die vielen Kilometer hinzuzählt, die die etwa 1000 Zuschauer zurücklegen mussten.
Das Papiertheater hat also eine ständige Anziehungskraft. Oder ist man nur neugierig? Wie viele der Zuschauer kannten das Papiertheater bereits und wie viele sind hier das erste Mal darauf gestoßen? Das wäre doch interessant zu wissen, aber wenn man nach der Stimmung am Eingang urteilt, kamen doch viele, die sich kannten und viele, die treu jedes Jahr wiederkehren.
Für Papiertheaterspieler ist das ein anderes Erlebnis. Wieder trifft man »Kollegen« aus der weiten Welt, und man kann sich tagelang dem gemeinsamen Interesse hingeben – dem Papiertheater!
Und so sind wir wieder am Anfang. Was ist Papiertheater? Stellen wir uns jemanden vor, der noch nie auf diesen Begriff gestoßen ist und gekommen ist, um das Phänomen zu erfassen. Wurde er im Laufe des Wochenendes klüger? Nein, er wurde verwirrt, weil das Papiertheater sich verändert hat, wenn man in den traditionellen »Alfred-Jacobsen«-Bahnen denkt, und die Frage ist, wohin es sich gerade wendet.
Lass uns mit dem Einfachen beginnen! Es gab natürlich Papiertheatergruppen, die weiterhin traditionell arbeiteten, und darum sei hier eine Definition gegeben, was traditionelles Modell- oder Papiertheater eigentlich ausmacht: Flache Figuren und flache naturalistische Bühnenbilder, genau wie im richtigen Theater mit Hintergrund, mittleren Kulissen, beweglichen Teilen und Kulissen aufgebaut. Die Figuren werden auf einem Stab von oben oder von der Seite geführt, die Dialoge werden eingespielt oder live gesprochen, und die Spieler stehen hinter einem Vorhang, so dass man nicht sehen kann, was sie tun. So spielte man Papiertheater – so spielt man Papiertheater! Daran glaubte man vor diesem 10. September 2004, aber jetzt sieht es anders aus. Wie erwähnt, gab es Aufführungen nach diesem Vorbild. Und Dank dafür! Es ist ein schönes Erlebnis, sich vor ein Papiertheater zu setzen, das sich in mehreren hundert Jahren nicht verändert hat und eine Vorstellung zu erleben, in dem die Papierfiguren einer dramatischen Wendung oder einer lustigen Handlung Leben geben. Es ist nicht möglich, alle Vorstellungen des diesjährigen Treffens zu schildern, aber die folgenden Beispiele mögen vielleicht die Vielfalt beleuchten.

 

ErzÄhlung vom Schiffsjungen

Dieses Jahr konnte man sich sehr über Per Brink Abrahamsen freuen, der mit »Erzählung vom Schiffsjungen« auf Svalegangens Dukketeater etwas vom Feinsten spielte, das man erleben kann. Zum zweiten Mal nahm sich Per eines Werks von Karen Blixen an – man erinnere sich noch an seine Bearbeitung von »Ehrengard« von 1989, aber diesmal übertraf er sich selbst. Perfekte Dialoge, Bühnenbilder in Collagetechnik, schöne Figuren, mitreißende Musik, hervorragende Beleuchtung und erfahrene Figurenführung. Die ganze Herrlichkeit hinter einem Vorhang ganz nach traditioneller Art. Aber hier hört das traditionelle auch schon auf, denn schon Bühnenbilder unter Verwendung von Collagen sind ja ein Beispiel für das schwer umdrängte Vergnügen, das stattfinden kann und muss, wenn wir kommende Generationen für das klassische Modelltheater interessieren wollen. Per Brink Abrahamsen hat sein Spiel schrittweise verfeinert und den Weg gebahnt für neue Möglichkeiten, und er versteht es, die richtigen Menschen an sich zu binden. Søren Mortensen, der lange Jahre der »Toningenieur« von Pers Produktionen war, hat für diese Vorstellung einen perfekten musikalischen Hintergrund komponiert, der kombiniert mit den Bühnenbildern und Figuren Ihrer Majestät der Königin das perfekte Modelltheater erschafft. Ja, Sie haben richtig gelesen. Per Brink hat wie bekannt mit der dänischen Königin bei einer Bearbeitung von »Die Schneekönigin« zusammengearbeitet, wo Ihre Majestät zum ersten Mal die Collage-Technik anwandte. Und für diese Vorstellung wurden einige schöne Bühnenbilder geschaffen, die alle Zuschauer mit Recht bewunderten. Klassisches Papiertheater mit neuen Tönen.

Pirates of Penzance

Und neue Töne konnte man auch bei Peter’s und Peter’s Pirates Show entdecken, Peter Schauerte-Lüke aus Deutschland und Peter Baldwin aus England, die zusammen auf äußerst charmante Weise »Pirates of Penzance« aufführten. Sie sangen live und hatten ständig Kontakt mit dem Publikum, das sich prächtig amüsierte. Die herrlichen Bühnenbilder, die hinter offenem Vorhang ausgetauscht wurden, verhalfen der Vorstellung zu Dynamik und Tempo, und man konnte deutlich merken, dass die beiden ihr Geschäft verstehen. Wer sonst würde sich trauen zu singen wie sie, gleichzeitig die Figuren zu bewegen (die allesamt elternlose Piraten darstellten) und die Bühnenbilder zu wechseln – das ikönnen nur wenige, aber die zwei sind ja erfahrene und professionelle Papiertheaterspieler, die schon häufig in Preetz und bei anderen Papiertheater-Festivals aufgetreten sind.

Draculas Tochter

Performance war auch kennzeichnend für das französische Théâtre L´Égrégore, das »Draculas Tochter« aufführte. Hier war nicht viel von Papiertheater zu finden – fast kein Theater, eine einfache Bühne, einige primitive Figuren und Bühnenbilder. Das wesentliche Element war der Franzose selbst, der die Hauptperson war und mithilfe der flachen Figuren die klassischen Dracula-Typen wie z.B. Dr. Van Helsing darstellte. Die Vorstellung war auf Englisch, allerdings mit dem klassischen stummen »h«, mit dem die Franzosen noch nie gut Freund waren, was hier die Vorstellung nur lustiger machte. Und amüsant war es, wenngleich es sicherlich kein Papiertheater mehr war.

Alhambra Revue

Dafür hielt der Holländer Ab Vissers sich an die Traditionen mit seiner »Alhambra Revue«, die er auf dem Alhambra Theater des Familie Journalen von 1923 spielte. Hier sah man alle möglichen Artisten, die unter Ab Vissers kundiger Führung auftraten. Ab Vissers hat nie die Papiertheatertraditionen im Stich gelassen, aber er hat es immer unnachahmlich verstanden, seinen Aufführungen eine persönliche Prägung zu verleihen. In Wirklichkeit war er in den letzten Jahren der gwichtigste Repräsentant des dänischen Papiertheaters, und ihm gehen anscheinend nie die Ideen für das dänische Repertoire aus.

Gert von Westphalen

Das Papiertheater Pollidor hat sich dieses Jahr Holbergs »Gert von Westphalen« angenommen, mit traditionellen Bühnenbild, das sowohl ein Interieur als auch ein Exterieur hatte, was der etwas steifen Vorstellung zu mehr Leben verhalf. Man kann sich fragen, ob Holberg sich eigentlich für Papiertheater eignet. Zu viele Dialoge und zu wenig Aktion, dabei ist es doch die wichtigste Aufgabe des Papiertheaters, das Unvermögen der flachen Figuren durch wechselnde Bühnenbilder und schnelle Bewegung auszugleichen. Die Vorstellung wurde live gesprochen, und Dirk Reimers behauptete zu Beginn der Vorstellung, dass Holberg selbst aanwesend sei. Wir wurden ihm auch vorgestellt, aber es war nur noch sein Skelett übrig.
Diese Mischung aus Performance und traditionellem Papiertheater sicherte den Erfolg der Vorstellung, aber früher war es lustiger, als das Ehepaar Reimers eine herrliche Vorstellung vom »Standhaften Zinnsoldaten« gab, mit der sie ihrer Kreativität freien Lauf ließen. Hier war es, als hielte Ludvig, obgleich nur noch ein Skelett, sich an alten Holberg-Traditionen fest, die sich nie ganz auf das Papiertheater übertragen ließen.

The Miller and his Men

Die ultimative Performance findet sich bei den Engländern, die gleich vom Beginn der englischen Papiertheatergeschichte im Jahr 1811 an ihrer eigenen Wege gingen: kleine Theater, Figuren und Bühnenbilder, sehr schnelle und dramatische Handlungen, unzählige Bühnenbildwechsel. Wie der Engländer A.E. Wilson in seinem Buch aus dem Jahr 1932 sicher ganz richtig schrieb: »Es gab nicht viele Inszenierungen, die es wirklich bis zur Aufführung schafften, man gab auf halbem Weg auf. Die Handlung war zu umständlich, und die Figuren waren zu mühsam auszuschneiden.« Er hat sicher recht, aber es gab auch einige, die sich durchkämpften. Und unter diesen ist das Vest Pocket Playhouse aus den USA, das den großen englischen Klassiker »The Miller and his Men« aufführte. Hervorragendes Papiertheater, bei dem man die ganze Zeit den Regisseur und Spieler in seinem Theater schuften sah, während er schweißüberströmt alle Figuren live und passend zum Dialog hinein und herausschob. Charming!

 

Über viele Jahre hat man in Europa ein wenig die Nase über die englische Papiertheaterpraxis gerümpft, welche ein hohes Maß an Überblick verlangt. Weil das Theater so klein ist, kann man sich nicht hinter Vorhängen verbergen, aber genau darin liegt das Besondere des englischen Papiertheaters: man soll den sehen, der die ganze Menagerie vorführt, und diese Spielweise beeinflusst zunehmend auch andere Papiertheaterspieler. Mehr und mehr springen hinter dem Vorhang hervor und nehmen aktiv teil an ihrer Vorstellung. Es verlangt Disziplin, nicht die Aufmerksamkeit von der Bühne auf sich selbst zu lenken, denn ansonsten könnte man ja auch gleich »richtiges« Theater spielen, und da wollen wir nicht hin.

 

The pirates of Penzance

Daher war es witzig, am Sonntag Abend das Nachspiel für alle mitwirkenden Papiertheaterspieler zu sehen, in dem Brian Peasgood und Co. ihre Version von »The Pirates of Penzance« auf einem primitiven Theater zum besten gaben. Ja, Theater konnte man das eigentlich fast nicht nennen, aber es gab Bühnenbilder und Figuren. Und was für Figuren. Die konnten Arme, Beine, den Körper und ihren Kopf bewegen auf eine so übertriebene Art, dass die meisten Zuschauer anfangen mussten zu lachen. Das wurde nicht besser, als Peter Peasgood direkt ins Publikum guckte und auf die Figuren zeigte, wenn diese ein besonderes Kunststück vollführten. Das war Papiertheater und Performance auf höchster Ebene, und die beiden Spieler machten sich wirklich gut.

 

Im Ganzen gesehen haben die Macher des diesjährigen Papiertheatertreffens in Preetz es gut getroffen. Es gab lustige und untraditionelle Vorstellungen, klassisches Papiertheater, Performances, aber vor allem die große Spielfreude und der Enthusiasmus, ohne die das Papiertheater nicht existieren könnte.
Es soll experimentiert und geforscht werden, aber es soll vor Allem gespielt werden, und das war so in Preetz im Jahr 2004!

Übersetzung aus dem Dänischen: Andrea Feddersen

 

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