logo pptt

 

Modelltheater-Treffen in Preetz 2004

Von Björn von Bahr

Das Modelltheater wird bÜhnentechnisch von Jahr zu Jahr weiterentwickelt. Die kleinen Neuerungen merkt man wahrscheinlich am deutlichsten beim jährlichen Septembertreffen in Preetz bei Kiel in Deutschland. Das ist das weltgrößte Treffen für diese Form von Puppentheater. Dieses Jahr fand es zum 17. Mal statt. Acht Länder haben teilgenommen. Vier neue Trends waren festzustellen:

1. Der Bühnenboden
hat tiefe Rillen, die dicht aneinander quer über die ganze Bühne verlaufen. Jede Rille hat eine Nummer, die zu den verschiedenen Szenen passt. Die Figuren werden in den parallel verlaufenden Rillen geführt. Das verhindert, dass sie umfallen, aber leider auch, dass sie schräg über den Boden gleiten und sich komplett drehen können. Dafür sind Rinnen notwendig, die sich weiten, wenn man die Puppe drehen möchte.
Vielleicht hat ja im nächsten Jahr jemand die Kulissen nur noch in zwei Spuren und lässt die Figuren sich frei bewegen, wie auf einem ganz normalen Boden.

2. Kulissenwechsel
wird öfter vor offenem Vorhang durchgeführt. Das ist für das Publikum persönlicher und interessanter.

3. Kulissen und Figuren
werden mit Hilfe von Scannern am Computer hergestellt.

4. Spieldauer
Die Vorstellungen sind länger geworden. Dieses Jahr dauerten sie zwischen 20 und 72 Minuten. Früher durfte ein Stück mit Rücksicht auf das Publikum und die Ablaufplanung nicht länger als 20 Minuten dauern.

 

Dr. Mackuse gewinnt den Krieg

Walter Koschwitz erlebtedas Berlin von 1945 im Alter von acht Jahren. Dieses Erleben spiegelte sich in der düsteren und absurden Geschichte von den letzten Tagen des deutschen Verbrecherregimes. Die Bomben, die Panik und die brennenden Ruinen wurden mit Hilfe eines langen beweglichen Hintergrundes dargestellt. Die gleiche Technik des Rollenhintergrundes war zu sehen, als eine Gondel, begleitet von der Barcarole aus »Hoffmanns Erzählungen«, durch die überschwemmten Tunnel der U-Bahn glitt. Als Vorlage für die schrecklich schönen Bühnenbilder dienten zum grossen Teil Fotos aus Büchern und Zeitungen.

Draculas Tochter

Eric Poirier vom Théatre l´Egrégore aus Marseille fing ohne ein fertiges Theater an: nur ein flacher Kasten auf dem Tisch, ungefähr wie ein Laptop. Volles Licht im Saal. Während er in gebrochenem Englisch ein Märchen über Vampire erzählte, platzierte er die Figuren und Kulissen in Rinnen in der Schachtel und nach und nach auch auf der Vorbühne. An der Vorderseite des Kastens waren zwei Fenster mit Landschaftsbildern, die einem »Eidofusikon« aus dem 17. Jahrhundert glichen, das heißt einem »Diorama« mit bemalten Glasscheiben und geöltem Papier.

Pizzaro

Ein Melodram, mal in schwarzweiß, mal in kräftigen Farben über den Spanier, der im Peru des 16. Jahrhunderts wütete. Robert Poulter benutzte aufgezeichnete Dialoge, weil er sekundenschnell arbeiten musste, um die Figuren und Kulissen zu tauschen. Sie wurden weggerückt oder auf den Boden geworfen, sie wurden von anderen abgelöst, die auch weggeworfen wurden; zeitgleich flimmerte eine Figur für eine Sekunde vorbei – alles zu einer suggestiv eigentümlichen Musik. Für gewöhnlich zeichnet und malt er alles selbst – mit dicken, geschwungenen Linien und deutlichen Gesichtern. Er zaubert eine Menge verschiedener optischer Illusionen hervor, aber wenn das Publikum hinterher hinter die Bühne geht, sieht man, dass fast alles Technische aus alten Pappen von Haushaltsrollen, einem bisschen Alupapier, schrumpeliger Folie und einigen starken Lampen besteht.

Der Nussknacker

Alle Bilder, die im Vischmarkt Papieren Theater aus Harderwijk in Holland zu sehen waren, sind aus Zeitungen und Büchern gescannt. Aber das Beste war trotzdem Tineke und Harry Ouderkerks Feuerwerkshintergrund im alten, bewährten Stil. Er stellte einen dunklen Himmel dar und hatte schmale, geschwungene Löcher mit farbigem Seidenpapier auf der Rückseite. Dicht daneben waren drei Räder mit ähnlich farbigen Rillen angebracht. Wenn sie sich drehten, entstand die Illusion eines Feuerwerks. Die ganze Maschinerie bestand aus Pappe, genau wie im 19. Jahrhundert.

Oberons Kiste

Modelltheaterfiguren leben in einer zweidimensionalen Welt, denn sie selbst und ihre Kulissen sind flach. Eine dritte Dimension existiert nur dann, wenn sie und ihre Kulissen perspektivisch gemalt sind. Die Verwendung von dreidimensionalen Gegenständen (zum Beispiel Puppenmöbel), um die Tiefe zu verdeutlichen, zerstört dagegen die Illusion.
Aber als das Ehepaar Motoko und Horst Römer als Oberon und Titania seine eigenen dreidimensionalen Hände in der kleinen flachen Welt bewegte, wirkte es übernatürlich.

The Miller and his Men

Das beliebteste von allen englischen Modelltheaterstücken. Die erste Auflage ist um 1822 erschienen, und seitdem ist sie von ungefähr 40 kleinen Firmen, vor allem in London, gedruckt und verkauft worden. Die Handlung kann als eine Transportstrecke zu einem großen Finale betrachtet werden, in dem die Mühle des kriminellen Müllers explodiert. Komplette Neudrucke von Bildern einer explodierenden Mühle gibt es günstig zu kaufen. Modelltheater-Enthusiasten vergleichen gewöhnlich, wie verschiedene Spieler den Knall am Schluss darstellen. Es gibt nur kleine, aber dafür umso mehr Variationen. Die Komödie wurde von dem Amerikaner Jon Bankert aufgeführt.

Gert von Westphalen

Die Gastgeber der jährlichen Treffen in Preetz, Barbara und Dirk Reimers, spielten dieses Stück von Ludvig Holberg. Für die diversen Tierlaute benutzten sie lautmalende Dosen (was genau Sie benutzt haben, wissen Sie wahrscheinlich besser als ich...) Viele der Bühnenbilder mit dänischen Theaterkulissen erschienen geheimnisvoll aufgrund der richtigen Beleuchtung. Es ist bewundernswert, wie die Gastgeber es innerhalb eines Jahres schaffen, Stücke zu schreiben, Figuren und Kulissen zu entwerfen und fertigzustellen und das Stück einzustudieren. Gleichzeitig laden sie Spieler aus verschiedenen Ländern ein, wählen zwischen ihnen aus und organisieren Hotelzimmer und Räume für die Theater selbst. Und wenn alles läuft, sollen sie selbst beide spielen und perfekte Gastgeber sein. Einen Abend ist Dirk außerdem Auktionator bei einer Versteigerung von Modelltheaterzubehör. Das geschieht in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule in Preetz; die Einrichtung wird finanziell unterstützt von politischen Institutionen und privaten Unternehmen.

Dracula

Der professionelle englische Modelltheaterspieler Joe Gladwin mag Märchen mit sowohl schönen als auch erschrecken Szenen. Dieses Jahr spielte er »Dracula«; damit verbunden war viel Geschrei im Falsett und anderer Radau, teilweise untermalt mit Musik aus dem Ballett »Schwanensee«.
Als ein Teil der Kulisse verwendete Joe Theaterrauch– weshalb ist unklar. Falls es eine vierte Dimension zeigen sollte, war es ausgezeichnet, falls es nur den allgemeinen Effekten dienen sollte, hätte Joe lieber darauf verzichten sollen, denn Rauch ist dreidimensional.

Pirates of Penzance

Gilbert und Sullivans Operette von 1879 wurde gut gelaunt und zweisprachig synchron gespielt und gesungen von dem Deutschen Peter Schauerte-Lüke und dem englischen Schauspieler Peter Baldwin. Die schnellen Bewegungen der Figuren und die Selbstironie vor dem sechs Meter langen beweglichen Hintergrund waren sehr lustig. Die schlagfertigen Dialoge beruhten teilweise sicherlich darauf, dass das Zusammenspiel nicht vollständig eingeübt worden war.

Erzählung vom Schiffsjungen

Das Modelltheater stützt sich mehr auf illusionsgleiche Bühnenbilder als die Schauspielerei. Das, was den Figuren an Beweglichkeit fehlt, wird durch den hypnotischen Effekt der Bühnengestaltung erzeugt.
Von richtigen Künstlern gestaltete Bilder bilden natürlich einen besonderen Anreiz. Per Brink Abrahamsen und Søren Mortensen vom Svalegangens Dukketheater in Århus haben mit Königin Margarethe II. zusammengearbeitet und sie alles, was auf der Bühne zu sehen ist, selbst anfertigen lassen. Die Bühnenbilder sind mit ausgeschnittenen und neu zusammengeklebten farbigen Bildern aus Büchern und Zeitungen hergestellt. Die Collagen wurden zu naturgetreuen Kulissen zurecht geschnitten und teilweise mit Aquarellfarben aufgearbeitet. Die Königin hat schon früher Kulissen angefertigt, unter anderem für Das Königliche Theater. Sie wirkte in dem aufgezeichneten Stück sogar als Erzählerin mit.

Ingwnya ne mfene

Der Name kommt aus dem Zulu, wie auch das Stück von Afrika handelt. Machteld von Nieuwkerk führte das einfache und lustige Kindertheaterstück auf Deutsch auf und hatte nach ein paar Minuten das ganze Publikum dazu gebracht, rhythmisch das Lied vom Affen und Krokodil zu singen, während sie selbst auf ihrem kleinen Zupfinstrument Mmbera spielte. Die selbstgemachten Kulissen waren in hellen, klaren Farben gesaltet, und das Krokodil machte sein Maul auf, wenn Machteld an einem Faden an der Vorderseite des Tieres zog.

Bu und BÄ im Wald

Die Modelltheatertreffen sind keine Wettbewerbe. Aber wenn dies einer gewesen wäre, hätten wahrscheinlich Eva Josephson und Karin Fichtelius vom Gripes -Modelltheatermuseum in Nyköping einen Preis bekommen. Das Publikum diskutierte in Pause darüber, was es gesehen hatte. Eva hatte die einfachen Bilder von Lena und Olof Landströms Bilderbüchern abgemalt.
Manchmal, wenn Modelltheaterstücke für Kinder und von Kindern gemacht werden, bekommen sie keine Tiefenwirkung, was darauf beruht, dass die Künstler keine Perspektive zeichnen können. Hier war es genauso, aber gleichzeitig hatte es Charme und es war schwungvoll und urkomisch, weil die beiden Damen immer wieder vom Deutschen ins Schwedische stolperten. Als sie erzählten, dass Bu und Bä auf eine Lichtung kamen, brachen sie einen Stock durch, und als Bu und Bä einen Bach überquerten, plätscherte Eva mit den Händen in einer Wanne mit Wasser. Bei dieser Vorstellung hatte das Publikum offensichtlich am meisten Spaß.

Übersetzung aus dem Schwedischen von Alexandra Eckl

 

<<< zurück <<<

Top | Home | Impressum & DatenschutzerklÄrung