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Preetz feiert die Volljährigkeit

Willers Amtrup zum 19. Preetzer Papiertheatertreffen

Als vor 18 Jahren das erste Internationale Papiertheater-Festival in Preetz stattfand, hätte wohl niemand gedacht, ein wie langes und erfolgreiches Leben ihm beschieden sein würde. Nun ist es mit dem 19. Festival volljährig geworden – und es sprüht vor Lebendigkeit und Spielfreude. Mehr noch: ich habe den Eindruck, daß die Qualität der Aufführungen immer besser wird, und  könnte mich eigentlich schlicht darauf beschränken, einfach fast alles von mir Gesehene als großartig zu bezeichnen – von kleinen Abstrichen und „Nörgeleien“ dessen, der es selbst auch nicht annähernd so gut machen könnte, natürlich abgesehen. Das aber würde den vielen witzigen und kreativen Einfällen der einzelnen Spieler und Bühnen nicht gerecht – auch wenn diese Gerechtigkeit wieder schon von Anfang an darunter leidet, daß ich wie immer nicht alle Vorstellungen habe sehen können und mir beispielsweise die hochgelobte Aufführung von „Esperanza“ entgangen ist. Wie war das noch mit der Bestrafung durch das Leben …?

 

Hommage an R.T.

Hier also kommt meine Auswahl, bei der ich musikalisch beginnen möchte: Barbara und Dirk Reimers, sozusagen das Urgestein des Preetzer Treffens, haben sich mit ihrem Papiertheater Pollidor diesmal etwas sehr Ungewöhnliches einfallen lassen, nämlich kein Stück mit fortlaufender Handlung, sondern sieben einzelne musikalische Bühnenbilder, die sie „Hommage an R.T.“ genannt und dem großen Tenor Richard Tauber gewidmet haben. Von ihm hörte man verschiedene alte Schallplattenaufnahmen, die jeweils durch passende Bühnenbilder und eine Mini-Handlung illustriert wurden – man sah beispielsweise den einsamen, übernächtigten Soldaten am Wolgastrand, der am Ende tatsächlich von dem angerufenen „Englein“ besucht wird, man sah die Parade beim Abmarsch des kleinen Gardeoffiziers oder blickte ins gepriesene Chambre separée mit sehr schönen Lichteffekten. Überhaupt war alles überaus stimmungsvoll ausgeleuchtet und in den vielfältigen, liebevoll (und arbeitsintensiv!) gestalteten Dekorationen (z.B. auch die eindrucksvolle Tiefenstaffelung des Praters, in dem wieder die Bäume blühen) überzeugend. Dickes Lob (und einzige „Nörgelei“, daß R.T. als Opernsänger leider übergangen wurde)!

Christopher Columbus

Nicht genug zu loben ist als nächstes die Produktion von „Christopher Columbus“ durch das Transatlantic Model Theatre, bestehend aus Terry Andrews (USA), Torgeir Stueng (Norwegen) und Helmut Wurz (Hanau) – allein schon die technische Bewältigung der Zusammenarbeit von drei Spielern aus weit entfernten Ländern (auf neudeutsch: Logistik) war eine Meisterleistung! Sie präsentierten eine „aktualisierte“, im Heute spielende Fassung einer alten Offenbach-Operette, und schon die amüsante Handlung, die im ersten Akt allerdings etwas langsam anläuft, wäre eine längere Darstellung wert. Hier nur so viel: Columbus (herrlich seine dem Coca-Cola-Schriftzug nachempfundene Schreibweise!) erscheint als Opportunist und „Multibigamist“, der seinen verschiedenen Verflossenen zu entfliehen versucht, als Heiratsschwindler festgenommen und, nachdem er auch mit der Königin Isabella ein Techtelmechtel begonnen hat, von König Ferdinand gezwungen wird, für den behaupteten Seeweg nach Indien den Beweis anzutreten und dorthin zu segeln. Unterwegs kommt es nach einem heftigen Sturm zur Meuterei gegen Columbus, man setzt ihn – platsch! –  in einem Boot aus, was es ihm ermöglicht, vor allen anderen Amerika zu erreichen, auf die Schnelle eine „amerikanische Ureinwohnerin“, alias Marilyn Monroe,  zu heiraten und im „flüssigen Gold“ Coca-Cola eine besondere Goldquelle zu entdecken. Überhaupt sind alle auftretenden Figuren Kopien bekannter Filmschauspieler. Helmut Wurz hat dazu faszinierende, vielfach raffiniert ausgeleuchtete  (die Nacht-Stimmung im 3. Akt!) Dekorationen geschaffen und sie mit vielen witzigen Details angereichert – der Osborne-Stier symbolisiert Spanien, Columbus’ Macho-Allüren spiegeln sich in einer ganzen Horde von Michelangelos David in unterschiedlichen Größen, aus dem Auge der Freiheitsstatue hinter einer grandiosen New-York-Kulisse quillt eine Träne, und so weiter und so fort. Nicht zu vergessen schließlich die sensible, dem Rhythmus der Musik folgende Figurenführung. Insgesamt eine zu recht begeistert gefeierte Vorstellung.

Mutiny on the Bounty / Natalie

In ganz anderer Weise musikalisch und nicht minder überzeugend traten Michael und Valerie Nelson mit ihrem Little Blue Moon Theater auf. Wir hatten ihre heiter-frivolen Vorstellungen bereits beim letzten Festival sehr genossen und sahen nun „Mutiny on the Bounty“ und „Natalie“, beides selbst geschriebene und gezeichnete Stücke mit mitreißendem Gesang und Ukulelenbegleitung. Dabei hat die Bounty-Meuterei als Vorgeschichte bereits stattgefunden, und wir sehen nur, vom Schiff aus noch beschossen, das ausgesetzte Boot mit Captain Bligh fortrudern. Anschließend finden wir die Meuterer , nachdem sie ihr Schiff eindrucksvoll verbrannt haben, auf einer Tropeninsel, wo sie alsbald mit den leichtgeschürzten Inselschönen fraternisieren (oder sagt man besser sororisieren?), ein locker-sonniges Strandleben genießen und im Laufe der Zeit eine solche Unmenge von Kindern in die Welt setzen, daß die Männer an ihnen in beiden Armen schwer zu tragen haben. Das alles wird so humorvoll dargestellt, daß das Zuschauen eine helle Freude ist – köstlich beispielsweise die mit beweglichen Figurinen gestalteten Hula-Tänze nicht nur der Polynesierinnen, sondern auch der Meuterer, alle bekleidet mit flatternden Baströckchen.
Das anschließende Stückchen „Natalie“ schildert die Abenteuer einer in den Straßen von Paris agierenden Puppenspielerin, die sich eines Tages wegen großer Hitze in ihrer Puppenbühne all’ ihrer Kleider entledigt, sie dann aber durch einen heftigen Windstoß einbüßt, nackt davonlaufen muß und schließlich mit dem Jackett eines hilfsbereiten, jungen Mannes notdürftig ihre Blößen bedecken kann. Nach einer „handgreiflichen“ Strafpredigt wegen ihres Leichtsinns werden die beiden natürlich ein Paar und sie in der Folgezeit als nackte Puppenspielerin – sex sells! – berühmt. Diese kleine, für mich in ihrer knappen Ironie noch gelungenere Geschichte besticht wiederum durch zahlreiche witzig-frivole Details – am schönsten die „Strafpredigt“, bei der man nur die nackten Beine der Frau hinter einem Paravent herausragen und wie wild auf und ab zappeln sieht. Auch dies also ein großer, einhellig applaudierter Spaß, bei dem man in jeder Minute spürte, mit wieviel Freude die Spieler selbst bei der Sache waren.

Die ZauberflÖte

Im Mozartjahr durfte natürlich auch auf dem Papiertheater Musik dieses Komponisten nicht fehlen, und so präsentierte das Wiener Papiertheater von Kamilla und Gerd Strauss die „Zauberflöte“ in einer gekürzten, 12 Bilder enthaltenden Fassung. Sie spielten vor den wunderbaren, selten in dieser Vollständigkeit zu sehenden Bühnenbildern von K. F. Schinkel und den beweglich gestalteten Figurinen des Grafen v. Brühl aus dem Jahre 1816; das war ein echter Genuß. Vor diesen Kulissen sah man viele gut gemachte Szenen mit gekonnter Figurenführung, etwa die Begegnung zwischen Pamina und Monostatos, den Auftritt Sarastros, die Beschwörung der wilden Tiere und ein eindrucksvolles Gewitter. Doch trotz dieser Schönheiten hat mich (passionierter und deshalb vielleicht überkritischer Opernliebhaber, der ich nun einmal bin) die Vorstellung nicht in allen Teilen  überzeugt. Denn mir fehlte an einigen Stellen ein wenig die der „Zauberflöte“ neben allen lyrischen und komischen Passagen – die kamen alle sehr gut heraus – auch eigene Dramatik. Vielleicht lag das zu einem Teil daran, daß die Aufführung auf der in der Kritik gemeinhin als „etwas steril“ gekennzeichneten Schallplattenaufnahme von Ferenc Fricsay aus dem Jahre 1954 basierte. Beispielsweise hätte ich mir die Dolcharie der Königin der Nacht etwas dämonischer gewünscht, in der Feuerprobe hätten zusätzliche Lichteffekte das lediglich gemalte Feuer auf dem Schinkel-Prospekt wirkungsvoller gemacht, und der Auftritt der von der Königin angeführten Verschwörer gegen Sarastro, der Idee nach interessant als Schattenspiel gestaltet, wirkte wenig bedrohlich. Ich denke, daß man solche Stellen noch auf das sonst so gute Niveau der Aufführung anheben könnte. Wirklich ändern sollte man allerdings zwei Szenen, die mir aufgefallen sind: im 1. Bild flieht Tamino nicht vor der Schlange, sondern läuft auf sie zu (man könnte die Figurine unschwer umkopieren), und die Bildnisarie ohne sichtbares Bildnis wirkt ein bißchen unvollständig. Insgesamt möchte ich in Abwandlung der Anpreisung für einen guten Rotwein sagen: es war eine gehaltvolle Vorstellung mit Entwicklungspotential.

The Forest of Bondy

Mit einem Teil ihrer bravourösen Papiertheaterspieler vertreten waren wieder die Briten. Ich sah als erstes  „The Forest of Bondy“ des Webb Apollo Theatre von Ted und Enid Hawkins mit ihrer Enkelin, ein echtes Familientheater und, man kann es nicht anders sagen, klassisches englisches Papiertheater at its best. Die schauerliche Mär spielt vor 200 Jahren in einem Dorf in Frankreich und erzählt von einem Captain Aubri, der bei einem nächtlichen Kurierritt durch den Wald von Bondy von zwei mißgünstigen Untergebenen ermordet wird – nur Aubris treuer Hund kann den Mördern entkommen und führt die entsetzten Dorfbewohner zur Leiche seines Herrn. Als Mörder wird zunächst ein taubstummer Diener verdächtigt, doch werden kurz vor seiner Hinrichtung auf dem Feuerrad die wahren Täter entdeckt, von denen der eine sich selbst ersticht und der andere von Aubris Hund angefallen und zerfleischt wird. Das nach George Spaight 1814 auf der großen Bühne von Covent Garden erstmals aufgeführte Stück ist ein wahrer Klassiker des englischen Papiertheaters und wurde von nicht weniger als acht verschiedenen Druckern herausgebracht. Wir sahen es in der 1847 erschienenen Version von William Webb, dem mit diesem ersten von ihm herausgebrachten Stück gleich ein großer Wurf gelang. Spaight urteilt, daß alle Webb’schen Stücke „exzellente Beispiele“ für die Kunst des Toy Theatre gewesen seien – für „Forest of Bondy“ trifft das mit Sicherheit zu, denn alle Dekorationen und Figurinen sind außerordentlich detailreich und  natürlich und ermöglichen eine sehr gut gestaffelte Bühne mit schöner Tiefenwirkung, die jedenfalls überwiegend auch gut ausgeleuchtet wurde. Die Spieler führten die teilweise beweglichen Figurinen mit viel Gespür – am eindrucksvollsten waren natürlich die drei „schönen Leichen“, bei denen der Tod das jeweilige Opfer nach bewährter englischer Manier in mehreren aufeinanderfolgenden Posen ereilte. Zu „nörgeln“ gab es eigentlich nur daran, daß die Männerrollen bis auf die beiden Mörder nicht sehr ausdrucksstark gesprochen wurden. Insgesamt aber dennoch ein praktisch ungetrübter Genuß!

Dick Whittington

Einen anderen, ebenfalls 1814 im Covent Garden uraufgeführten und danach von immerhin vier Druckern für das Papiertheater adaptierten Klassiker brachte Joe Gladwin mit seinem Paperplays Puppet Theatre mit nach Preetz, nämlich „Dick Whittington“, im Original  u.a. schon 1815 von William West unter dem Titel „Harlequin Whittington, Lord Mayor of London“ veröffentlicht. Aber welcher Unterschied in der Auffassung gegenüber dem zuvor besprochenen Stück! Schon der Originaltitel und mehr noch die skurril-phantastische Geschichte zeigen natürlich, daß wir es hier eher mit einer Harlekinade, einer Burleske – Gladwin nennt sie eine häufig zu Weihnachten als „Family Show“ aufgeführte „Pantomime“ – als mit einem ernsthaften Theaterstück zu tun haben: Ein böser Geist in Gestalt einer Ratte will mit seiner Rattenarmee die Welt erobern und wird daran von Dick Whittington gehindert, dessen Katze Tommy – assistiert von der guten Fee Griselda – rigoros unter den Ratten aufräumt. Das klingt ziemlich simpel und wird auch durch nicht gerade weltbewegende Rahmenhandlungen und Zwischenepisoden begleitet, darunter einen Golddiebstahl, als dessen Täter Whittington verdächtigt wird, während natürlich in Wahrheit der Rattendämon der Bösewicht war, weiter die wundersame Entdeckung, daß eine arme Köchin in Wirklichkeit eine Gräfin ist, oder einen aufregenden Schiffsuntergang durch einen vom Rattendämon entfesselten Sturm, bei dem die Schiffbrüchigen mit einem von einer Meerjungfrau geführten „Unterwasser-Taxi-Service“ gerettet werden. Daß der Titelheld am Ende Bürgermeister von London wird, setzt dem Märchen die Krone auf – und leitet in die Realität zurück, denn es hat Dick Whittington als historische Figur um 1300 herum tatsächlich gegeben, und er wurde wirklich gleich dreimal Londoner Bürgermeister, auch wenn er diesen Posten sicherlich nicht dem Wüten seiner Katze, sondern anderen Qualitäten verdankte. Gladwin spielte die Geschichte höchst ungewöhnlich vor selbstentworfenen Dekorationen nicht mit waagerecht, sondern mit von oben an Stäben geführten Figuren, die sämtlich in der Art von Hampelmännern an Armen, Beinen und Köpfen beweglich waren und ständig zappelten – alle grell und bunt überzeichnet und schon durch ihren bloßen Anblick große Heiterkeit hervorrufend. Gesteigert wurde dieser Effekt durch Gladwins einsame Kunst der Sprachgestaltung – diese Differenzierung der einzelnen Rollen macht ihm keiner nach! Nur ergänzend sei erwähnt, daß die Vorstellung von zahlreichen witzigen Tricks wirkungsvoll begleitet wurde. Insgesamt: kein englisches Papiertheater im üblichen Sinne, aber ein großer Spaß!

Das ungeheure Ungeheuer

Keinesfalls spaßig präsentierte sich demgegenüber Robert Poulter mit seinem New Model Theatre und der Aufführung von „Das ungeheure Ungeheuer“. Im Programm des nur etwa 20 Minuten langen Stücks hieß es ausdrücklich „No Dialogue“ – was keinesfalls ein Nachteil war – nur „Sound & Vision“. Wie immer in allen Teilen von Poulter selbst entworfen und rasant gespielt, erschien auf der kleinen Bühne eine ganze Armada teils realer, teils utopischer, monströser Maschinen, Bohrer, Sägen, Stampfer, die die Umwelt aufwühlten und zertrümmerten, Palmenhaine abrasierten, einander teilweise in ihrer Zerstörungswut Konkurrenz machten. Poulter zeigte riesige schwarze Schiffskolosse, verwinkelte Höhlen aus Beton, Monsterstädte. Das wirkte, gesteigert durch seine raffinierte Lichtregie, durchgehend so bedrohlich und beklemmend, daß man sich mit den immer wieder auftauchenden schreienden, fliehenden Menschen hätte identifizieren mögen. Poulter, dessen gekonnter Umgang mit Farbe ja von vielen vorangegangenen Vorstellungen bekannt ist, ließ die Maschinen bewußt unkoloriert und betonte dadurch noch den Eindruck des Unpersönlichen, Kalten, Menschenverachtenden dieser Umweltzerstörung, bei der schließlich alles brannte, explodierte und die Trümmer jeden Zugang versperrten. Auch der Soundtrack schließlich war gezielt aggressiv, schneidend, hämmernd, kreischend – alles in allem eine großartige, nachdenklich machende Aufführung, die über die gängige Auffassung von Papiertheater weit hinausging.

Zugabe: Kuttel Daddeldu und FÜrst Wittgenstein

Wie wandlungsfähig dieser Künstler ist, zeigte sich erneut in einer eingeschobenen Vorstellung nach der Auktion am Samstagabend. Norbert Neumann rezitierte mit komischer Emphase und vollem Körpereinsatz überaus erheiternd Joachim Ringelnatz’ Gedicht „Kuttel Daddeldu und Fürst Wittgenstein“, und Robert Poulter begleitete den verrückten Text mit ebenso verrückten Szenen auf dem Papiertheater – für mich am gelungensten der sich in einen Teppich einrollende Daddeldu. Wie die beiden Akteure aufeinander reagierten und den Part des anderen jeweils pointierten, war sehenswert und ein begeistert beklatschtes Erlebnis.

Dr. Mackuse, der Theaterverbrecher

Nur z’wegen der Höflichkeit kommen erst am Schluß die deutschen Spieler an die Reihe. Walter und Megi Koschwitz und ihr Papiertheater der urbanen Kriminalität gastierten mit dem (wohl) letzten Teil der Mackuse-Tetralogie – „Dr. Mackuse, der Theaterverbrecher“, in der Mackuse Deutschland (und die Welt?) dadurch zerstören will, daß er seine kulturellen Grundlagen vernichtet. Als Experimentierfeld hat er sich das Theater ausgesucht, und Koschwitz läßt Mackuse Hohn und Spott ausgießen über das neue deutsche Regietheater, welches von Werktreue nichts mehr hält und jede Aufführung statt dessen mit Pornographie, jeder Menge Blut und Exkrementen garniert. Goethe, Schiller und Lessing – die für Mackuse nur noch als Namen für seine Hunde taugen – gehören zum alten Eisen, einzig darstellenswert ist vielmehr sein Leben, welches er alsdann in verschiedenen Episoden auf die Bühne bringt. Das beginnt  - wie bei Koschwitz üblich nicht als zusammenhängende Geschichte, sondern bilderbogenartig in Episoden dargestellt – mit Mackuses Geburt als auf makabre Weise gezeugter Sohn des Grafen Drakula, setzt sich fort mit der Jugend des „Helden“, der mit einem Messer Jagd auf unschuldige Hühner macht, läßt ihn später in Wien und Berlin sein Unwesen treiben und gipfelt in der Katastrophe der Titanic, die Mackuse mit einem von ihm mit einem Schlepper herangezogenen Eisberg zum Untergang bringt. Diese Untat ist es schließlich, die ihn aufs Schafott bringt. Doch auch wenn dann – hoppla! – der Kopf gefallen ist, ist der Verbrecher noch nicht am Ende (die vorangegangenen drei Teile der Tetralogie hätten ja sonst nicht geschrieben werden können), denn Professor Sauerbruch nähte ihm den Kopf wieder an – Zitat: „Und die Moral von der Geschicht, biste privat versichert, stirbste nicht“. Wie immer schieden sich an Koschwitz’ Soundtrack die Geister, und auch ich habe es bedauert, daß einige Teile des äußerst gescheiten, vielfach bösartigen und hellsichtigen Textes durch die starke Stimmverzerrung kaum zu verstehen waren –  und dennoch hat mich auch der Ton insgesamt überzeugt; besonders die Musik (Mahler, Wagner etc. und andererseits Gassenhauer) war überaus eindrucksvoll und der jeweiligen Stimmung jederzeit so vollkommen angepaßt, wie es besser nicht hätte sein können. Und dann die Bühne: Koschwitz gelingt es in bewunderungswürdiger Weise, durch die Kombination von verfremdeten Fotographien, eigener Graphik und raffinierten Lichteffekten teils anrührende, teils düstere, beklemmende, ja verstörende Stimmungen zu schaffen, besonders beeindruckend bei Mackuses Geburt und der Szene am Schafott – nur von Poulter und Grimmelikhuizen sah ich in den letzten Jahren Vergleichbares. Eine großartige Vorstellung!

Pole PoppenspÄler

Ein schönes, ruhiges Spiel erwartete uns demgegenüber bei Bode’s Koffertheater mit Jens und Pauline Schröder, die für Preetz Theodor Storms „Pole Poppenspäler“ einstudiert hatten. Diese Spieler haben sich seit ihrem ersten Auftreten ganz erstaunlich gesteigert; was sie aus der bekannten Geschichte machten, war wirklich sehenswert. Die beiden spielten mit hergebrachten Dekorationen, die gekonnt gewechselt wurden und immer wieder schön ausgeleuchtet waren. Besonders gut hat mir gefallen, wie sie den Wechsel zwischen Außen- und Innenszenen bewerkstelligten, indem sie – beispielsweise bei den Geschehnissen in der Stube und im Gefängnis, in das Pole Poppenspäler unschuldig geraten war, die jeweiligen Innenräume langsam in die Bühne hineinschoben und dadurch ohne Unterbrechungen oder Umbauten weiterspielen konnten – das war als Idee und in der Ausführung gelungen! Beeindruckend war auch, wie beide Spieler alle Stimmen live sprachen, und ganz erstaunlich dabei, wie differenziert die erst 14-jährige Pauline Schröder ihre Rollen gestaltete. Nur eine „Nörgelei“ muß sein – übrigens in Übereinstimmung mit dem Prinzipal, mit dem ich nach der Vorstellung darüber sprach: es wäre ein großer Gewinn, wenn Poles letzte Lebensjahre nicht nur erzählt, sondern teilweise durch eine Spielhandlung illustriert werden könnten, vielleicht indem man den Angriff auf ihn während seiner letzten Vorstellung zeigt. Trotz dieser kleinen Einschränkung: eine schöne, herzlich beklatschte Aufführung.

Die lustigen Weiber von Windsor

Mein letztes Erlebnis waren „Die lustigen Weiber von Windsor“, gespielt vom Theater Don Giovanni, Käthchen & Co. – es war ein gelungener Abschluß dieses Festivals! Peter Schauerte-Lükes Komödiantentum habe ich schon mehrfach gerühmt, doch diesmal hatte er in Sabine Herder eine Mitstreiterin mitgebracht, die ihm nicht nachstand! Die beiden spielten Shakespeares bekannten Komödienstoff in der gekürzten Fassung der eingängigen Version eines relativ unbekannten Wanderbühnendirektors namens Kenter und erweiterten sie um ein vermutlich teilweise von dessen Ehefrau stammendes Vorspiel, mit dem, weil der Schauspieler für Heinrich IV ausgefallen war, eine Programmänderung begründet werden sollte – das wurde ein köstliches Kabinettstückchen, von den beiden Akteuren in bewährter Schauerte-Manier vor der Bühne gespielt; besonders wie sich Sabine Herder mehrfach halb schüchtern, halb empört mit der Erklärung vordrängelte, sie sei doch der „Epilog“ und den wolle sie jetzt vortragen, führte zu einem berechtigten Heiterkeitserfolg. Im Papiertheaterspiel selbst gefielen die gut gestaffelten Dekorationen, eine Mischung verschiedener Provenienz, und immer neue witzige Einfälle – hervorzuheben sind besonders die überaus flott gespielte Szene mit Falstaffs bekanntem Sprung in den Waschkorb, um sich vor dem eifersüchtigen Ehemann Fluth zu verstecken, und die Schlußszene nachts im Park, in der Falstaff mit einem enormen Aufwand komischer Details als der wahrhaft „Gehörnte“ vorgeführt wird und die richtigen Liebespaare zueinander finden. Großes Lob auch für die Sprachgestaltung: beide Akteure sprachen alle Rollen sehr abwechslungsreich live, und der Prinzipal „Don Giovanni“ (vielleicht sollte man „Käthchen“ in Sabine umbenennen) gab noch ein Ständchen dazu. Am Schluß verdienter großer Applaus.

 

Auch diesmal wieder mischt sich das Bedauern über das viel zu rasche Ende des diesjährigen mit der Vorfreude auf das nächste Festival.

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