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Preetz als Heilmittel

Willers Amtrup zum 22. Preetzer Papiertheatertreffen

Ein Jahr ohne Preetz? Ein Jahr ohne ein Wiedersehen mit weit verstreut lebenden Freunden und Bekannten? Ein Jahr ohne interessante, oft begeisternde Premieren-Erlebnisse auf dem Papiertheater? Nicht auszudenken!! Das ist die beste Krankheit nicht wert – also habe ich meine Reha in St. Peter-Ording unterbrochen, um wenigstens einen Tag lang dabei sein zu können.
Und siehe da: es gab sogar mehrere Freunde in gleicher oder ähnlicher Situation, die sich ihre langjährig gewohnte Teilhabe an diesem „Familientreffen“ ebenfalls nicht hatten nehmen lassen wollen. Alle meine Erwartungen erfüllten sich – auch der reduzierte Besuch war ein Genuss und baute sicherlich stärker auf, als es die Reha könnte.

 

Pilgerreise nach Westen

Natürlich kann ich es mir dann auch nicht verkneifen, wenigstens einen kurzen Bericht über das Gesehene zu verfassen, auch wenn es letztlich leider nur fünf Vorstellungen waren. Es begann für mich mit der „Pilgerreise nach Westen“ von „Römers Privattheater“.
Geschildert wird – angelehnt an einen im 16. Jahrhundert geschriebenen Abenteuerroman – die Reise eines chinesischen Mönchs nach Indien, um von dort heilige Schriften Buddhas zu holen, eine Reise, die nach zahlreichen gefährlichen Abenteuern nur deshalb erfolgreich endet, weil der Mönch von dem Affenkönig Sun Wukong begleitet und beschützt wird. Diese alte „Räuberpistole“ ist in China offensichtlich noch heute sehr populär – ich habe vor Jahren eine noch 1976 in 3. Auflage erschienene Ausgabe mit über 100 Federzeichnungen zu „Sun Wukong besiegt das Weiße-Knochen-Gespenst dreimal“ gekauft.
Horst Römer hat unter Verwendung weitgehend ausgestorbener Formen des japanischen Papiertheaters und der Laterna-Magica-Show (siehe dazu seinen Essay in PapierTheater Nr. 24 und 25) an chinesische Vorlagen anknüpfende sehr variantenreiche Dekorationen und Figurinen geschaffen, die ihm und seiner Frau Motoko ein vielfach sehr differenziertes Spiel gestatten. Es beginnt durch die einleitende Erzählung zunächst ein wenig ereignisarm, gewinnt dann aber rasch ein sich immer mehr steigerndes Tempo. Man sieht mehrfach rasante Verwandlungen auf offener Szene – beeindruckend z.B. die Entfesselung des in einem Felsen eingeschlossenen Affenkönigs unter Blitz und Donner –, packende Kampfszenen, einen wirbelnden Sun Wukong, furchterregende Seeungeheuer und andere skurrile Gestalten.
Auch die immer stimmige Musikuntermalung hat mir ausnehmend gut gefallen.

The Maid and the Macpie

Etwas weniger glücklich war ich aus einem ganz äußerlichen Grunde mit der Vorstellung des von mir immer sehr hochgeschätzten Joe Gladwin.
Der Inhalt seines Stückes „The Maid and the Macpie“ ist aus Rossinis „Diebischer Elster“ – „La gazza ladra“ – allgemein bekannt – es geht um den berühmten Diebstahl silberner Löffel, der einer Dienstmagd angelastet wird, während in Wahrheit eben jene Elster die Übeltäterin war. Wie immer sprach Gladwin alle Personen in toller (nur vereinzelt etwas übersteigerter) Nuancierung live, sang und summte Teile von Rossinis Ouvertüre und von „Britannia rules the Waves“ hinzu – das alles war ein wirklicher Genuss!
Aber die Bühne: Gladwin spielte mit Proszenium, Dekorationen und Figurinen von Pollock und hatte das ganze leider aus Sparsamkeitsgründen in der Originalgröße mitgebracht. Eine solche Miniaturbühne ist aber für ein größeres Publikum ziemlich ungeeignet – der genannte Genuss wurde für etwas weiter entfernt sitzende Zuschauer wie mich leider etwas getrübt.

Die Abenteuer des Tom Sawyer

Weiter ging’s mit den „Abenteuern des Tom Sawyer“ von „Bodes Koffertheater“ mit Jens und Pauline Schröder. Die beiden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, populäre Klassiker der Literatur auf dem Papiertheater darzustellen, hatten sich diesmal einzelne Szenen aus dem Roman von Marc Twain herausgesucht.
Jens Schröder hatte Dekorationen und Figurinen aus verschiedenen Vorlagen zusammengestellt und bearbeitet, und beide Spieler erfreuten ihr Publikum erneut besonders mit wirklich sehr gelungenen Verwandlungen auf offener Bühne. Das begann schon ganz zu Beginn, als das Buch mit dem Titel langsam aufgeklappt  wurde und Tom mit seinem Freund Huckleberry Finn erscheinen ließ, wenig später wurde aus einem Schulklassenraum eine offene Landschaft als Schauplatz für eine erste Annäherung zwischen Tom und seiner Freundin Betty.
Richtig begeistert war ich dann von der Darstellung eines Gerichtsverfahrens um den Mord an einem Arzt, der mit Hilfe des Gangsters Indianer Joe und eines weiteren Helfers Leichen auf dem Friedhof ausgegraben hatte. Man lese die Story im Original nach, weil sie zu kompliziert ist, um hier nacherzählt zu werden. Worauf es mir ankommt, ist die Verwandlung des Gerichtssaals, in dem Tom Sawyer als Zeuge den wahren Ablauf des Mordgeschehens schildert, in die Szene auf dem Friedhof, in der diese Schilderung sichtbar wird. Das war überzeugend gut gemacht! 

Die Jungfrau von OrlEans

Im Schillerjahr durften natürlich Stücke des Jubilars auch auf dem Papiertheater nicht fehlen. Ich begann mit der „Jungfrau von Orléans“, auf einer stark vergrößerten Pollock-Bühne  mit Schreiber’schen Dekorationen und Figurinen gespielt von „Don Giovanni, Käthchen & Co.“, sprich: Peter Schauerte-Lüke und Sabine Herder. Das war im Text klassischer, natürlich gekürzter Schiller, von beiden sehr gut und eindrucksvoll gestaltet.
Die Dekorationen kennt man natürlich – aber man kann sie ja höchst unterschiedlich benutzen, und bei dieser Aufführung haben sie mich durch ihre tiefe Staffelung und sehr geschickte Ausleuchtung besonders angesprochen – ich erwähne nur ein faszinierendes Trugbild einer Hölle, den wunderschönen Marktplatz von Reims und das gelungene Palast-Innere im letzten Teil des Geschehens.
Lobend hervorzuheben sind auch die mehrfachen lebhaften Kampfszenen mit teilweise beweglichen Gliedern. Gerade bei ihnen war auch der Soundtrack des Kampfgetöses gut integriert. Tröstlich dann die Apotheose mit dem Engelschor am Schluss: „Kurz ist der Schmerz, und ewig ist die Freude“ (Originalton Johanna). Insgesamt: Eine ausgesprochen gute Vorstellung.

Die RÄuber-Oper

Als Abschluss hatte ich mir das Preetzer Debüt von Uwe Warrachs „Papieroper am Sachsenwald“ mit der „Räuber-Oper“ ausgesucht – und war sehr angetan! Warrach hat sich von seinem Freund Hans-Jürgen Gesche ein neues Libretto schreiben lassen und spielt es mit überarbeiteten Dekorationen und Figurinen aus verschiedenen Quellen (Schreiber u.a).
Die Vorstellung beginnt in einer Studentenkneipe, in der Schiller höchstpersönlich erscheint und seinen Zuhörern den Plot seiner „Räuber“ erläutert;  die Geschichte ist bekannt, ich muss sie nicht wiederholen. Man muss die bewusst eingesetzten Überlagerungen von Geräuschen, Stimmen und anschließend Musik ziemlich konzentriert verfolgen, und es gab Zuschauer, die damit Mühe hatten.
Ich selbst empfand den Soundtrack als atmosphärisch ausgesprochen dicht, zumal als er von Schillers Erläuterungen in die eigentliche Spielhandlung übergeht, wo dann zunächst teils nur untergelegt, teils aber auch dominant Musik aus Verdis Oper „I Masnadieri“ eingesetzt wird. Hier ist ein spezielles Lob für den Librettisten am Platze: Über dem musikalischen Pathos der Verdi’schen Melodien liegt ein mehrfach sehr spritziger, ironischer, teilweise sogar bewusst „platter“ Text, der eine gelungene Persiflage ergibt. Als später die Räuber tatsächlich auftreten, wird Verdi von Musik aus der Räuber-Rockoper der Gruppe Bonfire abgelöst; selbst das hat mich überzeugt.
Mit viel Witz endet die Vorstellung mit der Diskussion darüber, ob der Räuberhauptmann Karl wirklich gehenkt werden muss – er muss nicht und kriegt am Ende seine Amalie. Gespielt wird das ganze auf der von Warrach ja schon beschriebenen Bühne aus einem Umzugskarton mit einem interessanten Vorhang in der Form eines Gefängnisgitters. Die Bühnenbilder haben mir besonders in ihrer guten Ausleuchtung gefallen.
Auch die Figurenführung war gekonnt; einzig die Sprachgestaltung der Frauenrollen hätte besser sein können.

 

Da trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise die Weiterführung des Treffens auch im nächsten Jahre einigermaßen gesichert zu sein scheint, freue ich mich schon jetzt auf das dann auch für mich wieder volle Programm. Und wieder passt Johanna: „Kurz ist der Schmerz, und ewig ist die Freude“.

 

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