logo pptt

 

„… ein Tag, an dem sich mir eine Welt offenbarte ...“

Sarah Peasgood zum 22. Preetzer Papiertheatertreffen

Ich behaupte nicht, daß ich ein Experte bin, wenn es ums Papiertheater geht, eher eine begeisterte Anhängerin, neu als Spielerin und als eifrige Lernende in dieser Kunst. Als leidenschaftliche Anhängerin, die in diesem Jahr das Glück hatte, viele Aufführungen sehen zu können, bat man mich, einiges über meine Erfahrungen zu schreiben. Ich hoffe, dass dieser Überblick Einsicht gibt in das Preetzer Papiertheatreffen 2009, wie ich es sah.

 

1. Thors Hammer

Mein erstes Stück lief Freitag Abend. "Thors Hammer" aufgeführt von Ove Johansen und Else Jørgensen von Lodsksovens Miniscene, Dänemark. Ove begrüßte den vollbesetzten Raum mit einer ausgiebigen Einführung zum Hintergrund der Geschichte und mit einer Entschuldigung für die Sprachbarriere. Er hatte allerdings freundlicherweise das Skript vergrößert und an die Wand geheftet, falls später weitere Erklärungen benötigt würden.

Das Stück war erfrischend humorvoll, und die leuchtend bunten Figuren und Kulissen schufen eine moderne Atmosphäre, die die Aufmerksamkeit fesselte. Ich fand das Timing gut, mit hervorragend komischen Momenten, in denen auch mal Figuren quer über die Bühne flogen und anschließend eine Bruchlandung hinlegten!

2. Die Jungfrau von Orleans

Ich hastete von der Volkshochschule über die Straße zu meiner nächsten Vorstellung um 19.30, in dem wunderschönen Gebäude, wo "Die Jungfrau von Orleans" von Peter Schauerte-Lüke and Sabine Herder von Don Giovanni Käthchen & Co. gespielt wurde. Sofort war ich überwältigt von einer solch großen Bühne mit dramatischem Proszenium und Vorhang. Der ganze Aufbau hielt mich tatsächlich ganz gefangen, während ich auf den Beginn der Vorstellung wartete.

Für mich war Peters Arbeit immer die "crème de la crème" für diese Art von Papiertheater, und da machte "Die Jungfrau von Orleans" keine Ausnahme. Obwohl die Aufführung für mich zu dieser abendlichen Zeit etwas zu lang war, und trotz der Sprachbarriere machten die dramatischen Stimmen von Peter und Sabine die Vorstellung sehr lebendig für mich. Atemberaubende Kulissen mit bedeutungsvoll tief gestaffelter Bühne, dazu vielfältige seitliche Kulissen schufen eine zauberhafte Illusion en miniature.

Gerade da ich mich von dieser kunstvollen Aufführung erholte und nachdem ich eine ganze Zeit hinter der Bühne verbracht hatte, um die Komplexität von Peters Theater zu begreifen, verspätete ich mich beim Treffen mit meiner Mutter, die mit mi – nach einem schnellen Zug an der Zigarette – zur Turnhalle eilte …

3. BlutsbrÜder

Das einzige Wort, um mein folgendes Erlebnis zu beschreiben ist „privilegiert“ …

Leider kam ich etwas zu spät in die Turnhalle, wo Marlis Sennewald gerade ihre Einführung in „Blutsbrüder“ der Muthesius Kunsthochschule beendet hatte, und so hatte ich überhaupt keine Ahnung, was zu erwarten war. Dies war eins der sensibelsten, spirituellsten und bewegendsten Stücke der Theaterkunst, das ich je erlebt habe. Die Erhabenheit und das Timing waren es, die mich am meisten überwältigten, vor allem da ich nicht ganz den Hintergrund oder den Handlungsablauf verstand, die Einfachheit der Figuren und der Szene verbunden mit wunderschöner Beleuchtung und kraftvoller Stimme machte dies für mich zu einem herausragenden Beispiel von einzigartigem Papiertheater. Meiner Meinung nach ein wesentlicher Beitrag zum Preetz-Festival dieses Jahr.

 

Ich war so inspiriert, sowohl von der Aufführung als auch durch leidenschaftliche ins Englische übersetzte Diskussionen über Karl Friedrich May, daß ich meinte mehr wissen zu sollen. So forschte ich nach zu meinem eigenen Nutzen und traf zufällig auf diesen interessanten Text von Karl May selbst, geschrieben über ein Puppentheater, freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der website des Karl-May-Museums in Radebeul bei Dresden:  

„Da kam ein Tag, an dem sich mir eine Welt offenbarte, die mich seitdem nicht wieder losgelassen hat. Es gab Theater. Zwar nur ein ganz gewöhnliches, armseliges Puppentheater, aber doch Theater. Das war im Webermeisterhause. Erster Platz drei Groschen, zweiter Platz zwei Groschen, dritter Platz einen Groschen, Kinder die Hälfte. Ich bekam die Erlaubnis, mit Großmutter hinzugehen. Das kostete fünfzehn Pfennige für uns beide. Es wurde gegeben: „Das Müllerröschen oder die Schlacht bei Jena.“ Meine Augen brannten; ich glühte innerlich. Puppen, Puppen, Puppen! Aber sie lebten für mich.“ [Mein Leben und Streben, S. 55.]

 

 

4. Das grÖsste RÄtsel

Samstag und wow! … mein Kopf war schon voll von den Erlebnissen am Freitag, und noch hatte ich einiges mehr an Aufführungen vor mir. Die erste Aufführung am Samstag war für mich „Das größte Rätsel“ von Per Brink Abrahamsen & Søren Mortensen von Svalegangens Dukketeater, Dänemark.

Bei Per Brink gibt es immer ein volles Haus, ich wollte unbedingt gute Sicht haben und den aktuellen Handlungsablauf und die fotografisch „wie im wirklichen Leben“-Kulissen erleben, und schaffte es, mich in die Mitte auf den Tisch hinten im Raum zu quetschen – perfekt! Der 3-D-Effekt und die Perspektive der Kulissen mit Fotos von realen Gegenständen und Hintergründen enttäuschten nicht, die hervorragenden Ton-Effekte und die spannende Handlung fesselten mich und boten eine erfrischende Abwechslung verglichen mit den traditionellen Papier-Stücken.

5. Der kleine Klaus und der grosse Klaus

Nach dieser zeitgenössischen Aufführung kehrte ich zum traditionellen Papiertheater zurück und sah „Der Kleine Klaus und der große Klaus“ aufgeführt von Ab und Mantas Vissers des Phoenix Papieren Theater, Niederlande.

Vielversprechend, wie Mantus mit seinem Vater zusammen spielte, da ich, die ich meine Eltern bei mehreren Anlässen unterstützt hatte, mich einfühlen konnte in seinen Eifer mitzumachen beim Papiertheater und die Familientradition aufrecht zu erhalten.

Das Stück wurde makellos aufgeführt mit dramatischen Stimmen und reibungsloser Technik, die Figuren und die Kulissen waren wunderschön und eine Augenweide.

6. Die Abenteuer des Tom Sawyer

Nachdem ich glücklich genossen hatte, was man nur als superbes Italienisches Festessen im Amadeus Restaurant bezeichnen kann – zum ersten Mal in diesem Jahr auf Kartenbasis organisiert – zugänglich für alle war es eine ausgezeichnete Idee und bot sowohl Spielern wie Anhängern eine Gelegenheit, zusammenzukommen und zu schwärmen während der Mittagspause zwischen den Aufführungen – trottete ich über die Straße zurück, um Jens & Pauline Schröders „Die Abenteuer des Tom Sawyer“ von Bodes Koffertheater aus Bremen zu sehen.

Das Publikum sah sich sofort dem authentischen Proszenium als Bilderrahmen gegenüber, gestützt von Gerhard Bodes symbolischen Koffer. Der wunderschön beleuchtete Roman „Die Abenteuer des Tom Sawyer“, der mitten in den Rahmen gestellt war, regte die Phantasie an.

Das Stück wurde zügig gespielt, aber was mich besonders begeisterte, war das kluge Wiederbenutzen von Teilen der Szenerie und des Bühnenbodens bei mehreren Szenen während des ganzen Stückes. Die Figuren und der Gesamteffekt waren bezaubernd, und die flotten amerikanischen Lieder während der Szenenwechsel unterstützten das Thema Mississippi und erheiterten uns.

7. Die Pilgerreise nach Westen

Die erste abendliche Aufführung am Samstag, die ich erlebte, war die schöne Darstellung von „Die Pilgerreise nach Westen“ von Motoko, Horst, Maria und Bärbel Römer von Römers Privattheater. Am Eingang bekamen wir alle einen chinesischen Glückskeks und – man braucht es gar nicht zu erwähnen – meiner klang sehr wahr: „Arbeite nicht zu viel“.

Die bunte rasante Aufführung mit kräftigen leuchtenden bunten Bildern war aufregend anzusehen. Die farbigen Figuren machten einen starken Eindruck vor dem schwarzen Hintergrund, und kluge Rollenveränderungen nutzten das Potential des Papiertheaters voll aus.

8. Ear/Nose/Throat

Die letzte Aufführung des Tages war „Ear/Nose/Throat“ der Xenographic Society, Andreas Kahre und David Garfinkle aus Kanada. Die Handlung fesselte mich und die interdisziplinäre Art, in der Andreas die Show entwickelt hatte.

Wieder wurden reale Figuren fotografier und vergrößert, eine Methode, die gut funktionierte. Einmalig war, dass sie in schwarz-weiß gedruckt waren. Die Aufführung wurde beherrscht von einem Dialog, der beredt und professionell von Andreas und David geliefert wurde, und da ich das Glück hatte, die englische Aufführung anzusehen, verstand ich gut alle Feinheiten und die Raffinessen des Kommentars.

9. Konrad und Konstanze

Erfrischt für den Schlusstag drängte ich mich hinten in den Raum, um Dirk und Barbara Reimers’ „Konrad und Konstanze“ anzusehen, – das berühmte Papiertheater Pollidor!

Dirk war so freundlich gewesen, mir am Tag vorher eine Zusammenfassung der Verwicklungen dieser Komödie im Shakespeare-Stil zu liefern, damit ich nicht wieder wegen meiner schlechten Sprachkenntnisse den Sinn der Geschichte verpassen sollte. Bevor sich der Vorhang hob, schaute ich auf das von Barbara entworfene und gezeichnete wunderbare Proszenium, das mir sehr vertraut war, da ich eins als Front meines dänischen Theaters besitze.

Ein sich rasant entwickelndes Drama mit traditionellen Wendefiguren, ein sich horizontal bewegender Hintergrund mit erregten leidenschaftlichen Stimmen von hinter der Bühne (die einzig wahre Art, tradionelles Theater zu spielen …)

Die Musik während der Szenenwechsel war wunderbar und schuf ihre eigene Stimmung, und das Erscheinen von Mark Twain auf der Bühne am Ende der Aufführung war neuartig und wirkungsvoll.

10. The Maid and the Magpie

Die vorletzte Aufführung war Joe Gladwins „The Maid and the Magpie“ des Paperplays Puppet Theatre. Ich freue mich immer auf Joes äußerst unterhaltsame, interessante und ausgefeilte Aufführungen, und dies war keine Ausnahme.

Joe hatte das kleinste Papiertheater mitgebracht, das ich je in Preetz gesehen habe. Es waren rein transporttechnische Gründe dafür (Flugbeschränkungen), aber wie es präsentiert wurde, perfekt hoch aufgebaut auf einem Podest, beleuchtet von Kerzenlicht, vermittelte es den Zauber der Farbgebung und der Atmosphäre des Englischen Wohnzimmer-Theaters.

Die Unterbrechung in der Mitte der Aufführung, um die erwähnte Elster besser sichtbar zu machen mit Hilfe eines mit der Hand vorgehaltenen Vergrößerungsglases, war genial und komisch, ein weiterer Beitrag zu einem unterhaltsamen rasanten Stück im wahren englischen Papiertheater Stil.

11. Down at the Palmcourt Something Stirred

„Last but not least“ führte der große Robert Poulter des New Model Theatre ein Doppelstück auf: auf „Down at the Palmcourt Something Stirred“ folgten zwei kurze Shows, die englische Music-Hall Stars des frühen 20. Jahrhunderts herausstellten: „I’m Henry VIII“ (über Harry Champion) und „Sing-Sing” (über George Robey).

Roberts Stücke zu erleben ist immer ein visueller Genuss und da ich mich genau in die Mitte der ersten Reihe gesetzt hatte, konnte ich Roberts erfahrenes und schnelles Arbeiten mit den beweglichen Stücken originaler grafischer Kunst vollständig aufnehmen.

Der „Palmcourt“ war eine peppige rhythmische Kombination von Humor und starker Optik innerhalb eines surrealen Luftschiff-Szenarios … aufgehängte Zeichnungen und Drucke von Robert trugen zu diesem einzigartigen künstlerischen Erlebnis bei.

Was folgte war eine erfrischende Überraschung und für mich eine Einführung in Kontext und Bedeutung alter englischer Music-Hall Gesänge, vorgetragen von berüchtigten Berühmtheiten.

 

Wenn man das Papiertheater Erlebnis in seiner vielseitigsten professionellsten, interessantesten und leidenschaftlichsten Form erfahren will, muss man das Preetzer Papiertheatertreffen erleben, denn man kann so viel sehen „auf nur einer Bühne“ in nur wenigen Tagen. Das Festival von 2008 war sicher ein Wendepunkt für mich und die Inspiration für meinen Schritt zu Solo-Papiertheater Aufführungen, und an dieser Stelle möchte ich so kühn sein, Karl May zu zitieren: „… Da kam ein Tag, an dem sich mir eine Welt offenbarte ...“

Ich habe nie zurückgeschaut, und 2009 war keine Ausnahme.

 

<<< zurück <<<

Top | Home | Impressum & DatenschutzerklÄrung