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Papier or not Papier …

Zum 24. Preetzer Papiertheatertreffen
Von Willers Amtrup

Meine diesjÄhrige ManÖverkritik startet wie üblich mit der Klage darüber, daß ich wieder einmal nur einen Teil der Vorstellungen habe besuchen können, und der heimlichen Angst, daß mir dadurch das Beste entgangen sein könnte. Daß ich mir diesen Frust dennoch immer wieder zumute, spricht für die Güte des Erlebten.

 

Paperplays Puppet Theatre: Red Rover

Die Wanderung durch die verschiedenen Aufführungsorte begann dann mit zwei fremdsprachigen Aufführungen mit viel, viel Text. Zuerst Joe Gladwin mit seinem „Paperplays Puppet Theatre“, der eine eigene Version eines roten Piraten – „Red Rover“ – vorstellte.

Es ging in zehn bei offener Bühne rasch wechselnden Szenen um einen (roten) Piraten, eine junge, in ihn verliebte Lady, ihre in einen Polizeioffizier verliebte Zofe, eine Erpressung, eine klassische Dreiecksgeschichte, eine Schlacht und schließlich natürlich um ein Happy End. Gladwin hat das mit traditionellen, aber handkolorierten englischen Druckvorlagen auf die Bühne gebracht; seine ruhige Figurenführung habe ich schon in anderen Zusammenhängen gerühmt, und das Überspielen kleiner Pannen zeigte den langjährigen Könner.

Bei den Dekorationen bestach mich besonders eine im Schiffsinnern spielende Szene, bei der man den Wellengang draußen beobachten konnte. Im Grunde aber lebt jede Vorstellung Gladwins von seiner Sprachgestaltung, die zwar manchmal bei den Frauenrollen etwas exaltiert ist, aber nie sich selber unangemessen in den Vordergrund spielen will.

Er hatte für die Zuschauer eine (etwas knappe) Szenenübersicht vorbereitet, die einen leider an der entscheidenden Stelle im Stich ließ, weil es dort nur hieß: "Alles wird aufgeklärt". So konnte ich nur raten, daß eine neu eingestellte Köchin "Mama mia" sich als Mutter irgendeines der Beteiligten entpuppt haben könnte – aber wessen?

 

Theatre de Table: Don Juan aux Enfers

Leider ganz ohne schriftliche Hilfestellung vollzog sich Eric Poiriers „Don Juan aux Enfers – Don Juan in der Hölle“. Was hätte das für ein Vorstellungsgenuß sein können, wenn ich – man ? – den 45 Minuten lang ununterbrochen in „franzenglisch“ gesprochenen Text hätte verstehen können!!

So kann ich nur aus der m.E. nur bedingt logischen Vorankündigung im gedruckten Programm wiedergeben, daß das Stück der Frage nachgehen sollte, ob man Herr seines Schicksals sein, z.B. ob sich Don Juan in der Hölle einfach nur ausruhen oder gar wieder verlieben könne. Die Vorstellung begann auf einer konventionellen Urania-Bühne mit einer überzeugend stilisierten Wald-Kulisse von Christiane Comtat, auf der sich zunächst ein turbulentes Hin und Her von -zig verschiedenen Figuren abspielte.

Diese Figuren, etwas über handgroße Holzblöcke mit Linol- und Holzschnittdrucken von Poirier, wurden von ihm sichtbar mit der Hand dauernd bewegt, verschwanden, tauchten wieder auf, trumpften lautstark auf, kämpften miteinander – nur eine Zuordnung war mir leider nicht möglich, zumal offenbar wiederholt mythologische Anspielungen gebracht wurden.

Die Drucke selbst waren künstlerisch großartig gelungen und von großer Vielfalt. Etwa zur Mitte der Vorstellung kippte das Proszenium nach vorne um, es entrollte sich ein eng mit Figuren beklebter Vorhang mit einem (nach meiner Deutung) Höllensturz, und das weitere Geschehen spielte sich dann auf dem blanken Spieltisch ab, flankiert von zwei Seitenkulissen mit Höllenflammen. Hier erschienen dann auch erotische Figurinen, die augenscheinlich die ungebrochene Lust Don Juans anregen sollten.

Insgesamt eine von überschäumender Phantasie geprägte Vorstellung, von Poirier überaus lebhaft und teilweise exaltiert gesprochen und in eigener Person gespielt – ausgeprägter hätte dieses eigene Spiel aber nach meinem Geschmack auch nicht sein dürfen.

 

Papieroper am Sachsenwald: Die Sache mit dem Stern

Einen schönen Kontrast bot dann Uwe Warrachs „Papieroper am Sachsenwald“ mit dem Stück „Die Sache mit dem Stern“, von ihm selber ein „etwas eigensinniges Papiertheater-Krippenspiel“ genannt.

Die Zuschauer empfing bei eingangs offener Bühne eine in ihrer Schlichtheit eindrucksvolle Wüstenkulisse mit einem sehr gut ausgeleuchteten, sternenübersäten Himmel, die sich auch zu beiden Seiten der Bühnenöffnung fortsetzte und damit ein Gefühl von Weite erzeugte.

In dieser Wüste zogen nun die drei Astrologen aus Syrien (die „Heiligen 3 Könige“ sind ja sozusagen ein Tippfehler der Religion) hin zu dem Ort, an dem nach der Prophezeiung der Messias geboren werden soll. Dort angekommen, treffen sie wegen der laufenden Volkszählung das reinste Chaos an, übergeben ihre für den Messias gedachten Präsentkörbe einer armen Tischlerfamilie und dessen Neugeborenem in einem Stall und machen sich auf den Rückweg.

Warrach hat seine Figurinen vielfach altdeutschen religiösen Bilderbögen des 18. Jahrhunderts (u.a. Martin Engelbrecht) entnommen und setzt sie geschickt einzeln und in Gruppen mit ruhiger Figurenführung ein. Überzeugend seine Lichtgestaltung, seine Straßenszenen und das Getümmel in Bethlehem, seine Viehherden, die Szenen im Stall und der Rückweg in der in mehrere Ebenen gestaffelten Kulisse.

Ausgesprochen gelungen auch der vielfältige Wortwitz des selbstverfaßten Librettos mit seinen Anspielungen und Verfremdungen biblischer Texte, gipfelnd in einer Szene, in der einer der Astrologen Maria das erbetene Horoskop für das Kind verweigert, weil er ihr zwar seinen Aufstieg als „shooting star“, aber auch sein trauriges Ende hätte prophezeien müssen. Insgesamt eine schöne, lebhaft beklatschte Aufführung.

 

Facto Teatro: Don Chico que vuela

Auf die Vorstellung der im Vorjahr so gefeierten mexikanischen Gruppe „Facto Teatro“, diesmal bestehend aus 3 Spielern, mit ihrem „Don Chico que vuela – Don Chico will fliegen“, war man allgemein besonders gespannt – und selbst hochgespannte Erwartungen wurden erfüllt.

Dargestellt wird am Beispiel eines normalen Dörflers, der das beschwerliche Kraxeln über Berge von einem Dorf zum anderen leid ist, der uralte Traum des Menschen fliegen zu können – und sein (vorläufiges) Scheitern. Das wurde von zwei Spielern auf einem schlichten Spieltisch vorgeführt, während der dritte Spieler überwiegend für die Begleitung mit Musik und Geräuschen (hervorragend sein Gackern und Kreischen von Tieren) zuständig war.

Die Gruppe hatte eine kurze Inhaltsangabe in deutsch vorbereitet – die Handlung lief aber so plastisch ab, daß man sie auch so ohne weiteres hätte verstehen können, zumal einer der Spieler sie mit Beiträgen in gebrochenem Deutsch begleitete. Alles beginnt mit einer spartanischen Kulisse mexikanischer Berge und eines bewegten Flusses zwischen ihnen und der mühsamen Wanderung des Menschen in dieser Umgebung.

Der Wunsch zu fliegen ergibt sich fast zwangsläufig und wird u.a. am Beispiel von Vögeln illustriert. Also macht sich unser Protagonist in äußerst witzigen Szenen an die Vermessung und Verwiegung von Hühnern aus dem Stall und anderen fliegenden Lebewesen, probiert und verwirft Dutzende verschiedener Flügel, betreibt in Gestalt des deutsch radebrechenden Mitspielers mit einer hinreißenden, nie überzogenen Pantomime vorbereitende Gymnastik und muß dann doch wieder feststellen, daß sein Flügelflattern nur dazu taugt, den Kehricht von der Straße zu fegen.

Dennoch startet er schließlich, über und über behängt mit Gaben seiner Mitbewohner, von einem sehr schön stilisierten Kirchturm aus zu seinem ersten Flug, der sein letzter sein wird. Denn natürlich stürzt er ab, und wir sehen die Menschengruppen, die seinen Sarg bei der Beerdigung begleiten.

Die Aufführung lebte von der Spielfreude und dem perfekten Zusammenspiel der drei offensichtlich professionellen Akteure und wurde zu recht begeistert gefeiert.

 

Compagnie Volpinex:
La Belle au Bois Dormant – Version Mode et Travaux 1979

Bei der nächsten von mir gesehenen Vorstellung schieden sich die Geister. Während einige meiner Gesprächspartner, darunter „altgediente“ Liebhaber des Papiertheaters, die Aufführung rühmten, stieß sie bei anderen auf mehr oder weniger starke Ablehnung. Es geht um „La Belle au Bois Dormant – Version Mode et Travaux 1979“ der „Compagnie Volpinex“.

Erzählt wird das bekannte Märchen vom Dornröschen, dessen Akteure durch aus Modezeitschriften der Fa. Burda von 1979 ausgeschnittenen Fotos dargestellt wurden. Da gibt es meist zu dritt auftretende junge Frauen als Darstellerinnen der guten Feen, außerdem eine ziemlich streng gekleidete böse Fee, weiter Dornröschen selbst zunächst als Baby, dann als sommerlich beschwingte junge Dame immer mit einem Blumenstrauß in der Hand und später als leicht bekleidete Liebhaberin eines Prinzen, der stets seine Flinte im Arm und den Hund an seinen Beinen hat.

Alle diese Fotos der Akteure werden von dem Spieler Fred Ladoué an Stäben von oben vor einer hellen Fläche, sozusagen der Bühne, bewegt und dabei mit einer Camera gefilmt, die ihrerseits das Gefilmte auf eine große Projektionswand überträgt und dort in ständig wechselnde Hintergründe einspeist, die ebenfalls durchgehend aus Fotografien bestehen.

Das wird im vorbereitenden Programm mit Recht als „raffinierte Projektionstechnik“ bezeichnet, und als technischer Laie war ich schon erstaunt darüber, daß diese Hintergründe und die darauf applizierten Figurenfotos sich nicht ständig miteinander vermischten (zumal außerdem auch noch Untertitel in deutsch in die Projektion eingefügt wurden).

Trotz dieser Raffinesse halte ich das Experiment für mißglückt. Ich habe schon früher – nämlich bei Per Brink Abrahamsens Oldenburger „Ring“–Aufführung (vgl. „PapierTheater“ Nr. 12/1999) und bei der Bremer Aufführung des "Geliebten Adonis" (vgl. „Das PapierTheater“ Nr. 3/3) – beklagt, daß Projektionen einer abgefilmten Aufführung zwangsläufig nur flache Wirkungen ergeben und daß die reizvolle Tiefe einer „normalen“ Aufführung verloren geht; ich kann mich jetzt nur wiederholen.

Hinzu kam im vorliegenden Falle, daß die extrem exaltierte Selbstdarstellung des Spielers Ladoué mich doch erheblich störte. Aber wie eingangs gesagt: es gab durchaus gegenteilige Meinungen – ich bin gespannt auf eine Widerlegung meiner Einschätzungung.

 

RÖmers Privattheater: Vasantasena

Anschließend wurde es zwar nicht inhaltlich, aber als Spiel erheblich ruhiger: Römers Privattheater spielte „Vasantasena“, von Horst Römer bei der Vorstellung selbst als Stück voller Verwirrungen bezeichnet.

Eine erfreulich umfangreiche schriftliche Inhaltsangabe half, dieses altindische Drama zu verstehen: Der fiese Bruder eines tyrannischern Königs verfolgt eine liebenswerte Bajadere namens Vasantasena, zwischen der und einem völlig verarmten, weil zu freigiebigen Kaufmann sich bei einem zufälligen Treffen eine Zuneigung entwickelt.

Zunächst gelingt es, den Nachstellungen des Königsbruders zu entgehen, doch als alle Beteiligten am nächsten Tage am Tempel des Liebesgottes zusammentreffen – der Kaufmann, um für das Liebeserlebnis zu danken, Vasantasena, um ihn dort zu treffen, der Königsbruder, um den Beistand des Gottes zu erbitten –, kommt es zu einem dramatischen Konflikt, an dessen Ende Vasantasena, vom Königsbruder gewürgt, wie tot am Boden liegt.

Da der Königsbruder die Schuld auf den Kaufmann schiebt, wird dieser von dem tyrannischen König zum Tode verurteilt und erst in letzter Sekunde gerettet. Denn parallel dazu verläuft ein zweiter Erzählstrang über einen Hirten, der neuer König werden soll und deshalb vom Tyrannen verfolgt wird, aus dem Gefängnis entfliehen kann, an der Hinrichtungsstätte erscheint, den Tyrannen entthront und die aus ihrem Scheintod erwachte Bajadere mit dem Kaufmann vereint.

Unter Verwendung alter Illustrationen hatte Horst Römer zu den 7 Bildern der Aufführung rundum gelungene Dekorationen mit großer Tiefenwirkung geschaffen, von denen mich besonders der Palast des Königs, der Tempel des Liebesgottes und eine Straßenszene beeindruckten, in der sich ein wildes Durcheinander verschiedener "Verkehrsteilnehmer" abspielte.

Die dort aufeinander treffenden Gruppen konnte man gar nicht so schnell richtig würdigen: hochbepackte Lasttiere, Kutschen mit verschiedenen Insassen, ein Gefangenentransport, aufragende Militärpatrouillen, die Flucht des gefangenen Hirten, Sänften, Sonnenschirme – wunderbar gemacht! In der Rückfront des Liebestempels öffneten sich bei mehreren Gelegenheiten Türen, hinter denen vier Liebesdienerinnen auf Kunden warten und sie hüfteschwenkend zu verführen versuchten – ein gelungener Spaß.

Nimmt man die wirklich gute Ausleuchtung der Szenen – u.a. ein eindrucksvolles Gewitter – hinzu, so kann man die Aufführung nur in jeder Hinsicht überzeugend nennen.

 

Haases Papiertheater: Sherlock Holmes – Das Familien-Ritual

Ein wenig Schwierigkeiten hatte ich zeitweilig mit „Sherlock Holmes – Das Familien-Ritual“, präsentiert von Haases Papiertheater. Es geht in einem englischen Landsitz um das plötzliche Verschwinden eines Butlers, den seine Herrin gerade zuvor beim Schnüffeln in Familienpapieren erwischt hatte, und eines Hausmädchens.

Was man auf der Suche nach Ihnen auf dem Grundstück findet, ist ein Jutesäckchen mit "Steinen" und Metallteilen. Holmes und Dr. Watson finden – wie vor ihnen schon der Butler – heraus, daß die Papiere eine uralte, geheimnisvoll verschlüsselte Wegbeschreibung zu einem Schatzversteck enthalten, gehen den Hinweisen minutiös nach und gelangen schließlich zu einem allen völlig unbekannten Keller in einem der Gutsgebäude.

Dort waren vor ihnen auch der Butler und das Mädchen gelandet und hatten eine Schatztruhe entdeckt, sich aber alsbald zerstritten mit dem Ergebnis, daß der Butler das Schatzversteck nicht mehr lebend verlassen konnte und das Mädchen auf der Flucht das vermeintlich wertlose Säckchen wegwarf.

Holmes ermittelte dann auch insoweit die Wahrheit: die „Steine“ waren Edelsteine und die Eisenteile Reste einer Königskrone. Zu diesem Geschehen hatte Martin Haase etliche ganz wundervolle Bilder geschaffen, die stimmungsvoll und absolut überzeugend (z.T. unter Verwendung von Schwarzlicht) ausgeleuchtet waren.

Die nächtliche Suche im Park, der Gang auf der Wendeltreppe hinunter in den unbekannten Keller, die ganz geheimnisvoll z.T. als Schattentheater dargestellten dortigen Aktivitäten des Butlers und des Mädchens – all das hätte nicht besser präsentiert werden können.

Meine eingangs erwähnten Schwierigkeiten beruhten darauf, daß die Vorstellung relativ viele und nicht ganz kurze Umbaupausen aufweist – wenn daran noch ein wenig gearbeitet werden könnte, wäre sie vollkommen.

 

Robert Poulter’s New Model Theatre: The Mummy’s Purse

Robert Poulter zu loben heißt Eulen nach Athen zu tragen – aber was soll man anderes tun? Die Geschichten, die er erzählt, mögen manchmal verworren sein – ihre Gestaltung macht alles wieder wett.

Diesmal bei „The Mummy’s Purse – Die Geldbörse der Mumie“ hielt sich die Verwirrung in Grenzen: Zwei Archäologen entdecken in Ägypten das vollständig erhaltene Grab einer Königin und zerstreiten sich dann. Einer von ihnen findet die zurückgelassene Geldbörse der Königin, ohne die sie ihr Leben nach dem Tode nicht weiterführen kann.

Mit Hilfe von drei altägyptischen Göttern, darunter der Totengott Anubis, ein Mensch mit Hundekopf, gelingt die Wiedererlangung der Börse („purse“) – zugleich trifft ein Fluch („curse“) denjenigen der Archäologen, der es gewagt hatte, die Börse an sich zu nehmen – für mich blieb nur offen, wen von beiden nach der Logik der Geschichte es nun traf.

Aber wie gesagt: ich muß bei Robert Poulter nicht alles verstehen, um ihn trotzdem hinreißend zu finden. Vierzehn rasant gewechselte Szenen in 30 Minuten – wer schafft das sonst?

Da gab es eindrucksvolle ägyptische Landschaften, schöne Hafenszenen, Schauplätze auf einem Schiff, im Museum und auf dem Nil – alle wie immer gut ausgeleuchtet. Gelungen auch viele bewegliche Figuren sowie Figurengruppen und kleine Szenen mit Witz, etwa die Ticketkontrolle in der Eisenbahn, bei der sich nacheinander die Abteiltüren öffnen und schließen.

Wie gewohnt langer berechtigter Beifall.

 

Hana Voriskova and Muziga: The Pear Tree in the Field

Nach der nächsten Vorstellung sagte derselbe alte Freund, mit dem ich mich über die Dornröschen-Aufführung nicht einigen konnte: „Das war kein Papiertheater!“ In Teilen hatte er damit recht – und doch war es für mich eine der berührendsten Vorstellungen dieses Treffens.

Gemeinsam mit den Musikern Helena und Jiri auf Geige und Gitarre präsentierte Hana Vorisková acht verschiedene Miniaturen, die sie „Videoclips aus Papier“ nannte und die alle um das Thema menschlicher Beziehungen kreisten. Die beiden Musiker spielten dazu jeweils zu Beginn thematisch passende Stücke, die im Programm als „traditionelle tschechische Folksongs“ angekündigt wurden – wenn das stimmt, was ich nicht beurteilen kann, sähen wir mit unserem im Frühtauzuberge lustwandernden Müller ziemlich alt aus; denn diese Musik war musikalisch höchst anspruchsvoll und zudem virtuos vorgetragen.

Hana Vorisková begann mit einer Miniatur über die Trennung zweier Menschen, indem sie die „Bühne“, eine nur mit einem Herz bemalte Papierfläche, in der Mitte zerschnitt, die beiden Hälften dann immer weiter auseinanderzog und an ihren Rändern zwei stilisierte Menschen erscheinen ließ, die sichtlich vergeblich versuchten, zueinander zu gelangen, zumal sich zwischen den beiden Bühnenhälften dann auch noch Wasser ausbreitete.

Der Eindruck, den dieses Stück, verstärkt durch den konzentrierten Ernst der Spielerin, auf mich machte, läßt sich mit dürren Worten im Grunde nicht beschreiben. Das war Papiertheater!

Es folgte mit einer neuen Bühne bzw. Kulisse ein Stück über ein die Einberufung ihres Verlobten zum Militär beweinendes Mädchen unter einem Birnbaum („The Pear Tree in The Field“), bei dem nacheinander ein Reiter und ein Wanderer immer kleiner werdend einen Berg hinauf stiegen.

Anschließend etwas, was tatsächlich kein Papiertheater war, nämlich die Vorführung von Zauberkünsten, mit denen eine Frau einen schönen Mann zu erringen versucht – das hatte, wie gesagt, mit Papiertheater nichts zu tun, war aber gänzlich unaffektiert vorgeführte schöne Pantomime.

Durchaus zum Papiertheater gehörte das nächste Stück über diese provozierte Trennung eines Liebespaares durch üble Nachrede und deren Wiederannäherung, nachdem die die Bühne beherrschenden, böse aussehenden „Lästermäuler“ gestopft waren.

Weitere Themen waren ein Dank für das Leben, das Anlocken eines Mannes wie mit dem Duft einer Erdbeerblüte, das Versteck eines Liebespaares in einem Kornfeld und die mit vielen verschiedenen Bildern (z.T. in der Art eines Leporellos) illustrierte Jagd bestimmter Männer – „Sammler“ – nach möglichst unschuldigen Frauen.

Alle Akteure bekamen starken, berechtigten Applaus.

 

Don Giovanni, KÄthchen & Co.: Der Fall Don Giovanni – Die Wahrheit

Mit dem Stichwort Leporello sind wir dann bei der letzten von mir besuchten Vorstellung angelangt, dem „Fall Don Giovanni – Die Wahrheit“, gespielt von Anna Herbst und Peter Schauerte-Lüke.

Auch hier hörte ich vorher einige unterschiedliche Einschätzungen, und in der Tat ist die Figurenführung auf der stark vergrößerten spanischen Bühne mit nur zwei unterschiedlichen Kulissen etwas einfach. Die dahin gehende Kritik übersieht aber das Eigentliche dieser Aufführung, ihren inhaltlichen, musikalischen und darstellerischen Witz.

Die Wahrheit sei, so wird behauptet, daß Mozarts Don Giovanni alles andere als ein Frauenheld und vielmehr nur die Projektion eines viele Generationen zuvor lebenden Vorfahren gewesen sei, der nunmehr danach strebt, verjüngt wieder Liebesabenteuern nachgehen zu können.

Damit setzt ein munteres Verwirrspiel verschiedener Beteiligter aus verschiedenen Jahrhunderten ein: der Comtur mutiert zum Vorfahr, Don Quixote taucht erstaunlicherweise auf, wird von Kardinal Richelieu verfolgt und singt statt Mozartmelodien solche aus dem Musical „Der Mann von La Mancha“, Dulcinea und Elvira werden praktisch austauschbar.

Ziel des ganzen Durcheinanders ist, den längst verstorbenen legendären Vorfahr mit Hilfe von Dr. Sauerbruch in den lebenden Don Giovanni zu verpflanzen. Das aber geht aus doppeltem Grunde schief: Dr. Sauerbruch operiert irrtümlich Don Quixote statt Don Giovanni, und ein Stromausfall während der Operation hat zur Folge, daß zwar ein neuer Frauenheld entsteht, aber nicht Don Giovanni II., sondern – Silvio Berlusconi.

Diese haarsträubende Geschichte spielen und vor allem singen Anna Herbst als Zofe der Donna Elvira und Peter Schauerte als Leporello lebhaft, aber nie überzogen. Anna Herbst ist ausgebildete Sängerin mit schönem Ton, und Peter Schauertes Gesang höre ich nach wie vor gern. Nicht nur im gesprochenen Text, sondern gerade auch in den Gesangsszenen steckte eine Menge ausgesprochen gelungener Witz.

Da wird die auf Don Giovanni den Jüngeren gemünzte Registerarie umgetextet – in Italien sei gar nichts gewesen und auch in Deutschland nichts als Spesen –, da fordert Zerlina den widerstrebenden Giovanni auf, ihr seine Hand, sein Leben zu reichen, da besingt Elvira unter einem Fenster den dahinter vermuteten Giovanni – beides eben Konsequenz dessen, daß Don Giovanni, wie es heißt, an gebrochener Mannbarkeit litt.

Ich habe mich köstlich amüsiert und jedenfalls in meiner Vorstellung das Publikum auch.

 

Wie immer zum Schluss: Nächstes Jahr in Preetz!!

 

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